Eine Frau in Berlin
soll, wenn das Haus herunterkommt. Das heißt, wenn die Trümmermassen in bestimmten Fallwinkeln und Gewichtsverhältnissen stürzen. Der Hauswirt, der das ja wissen müßte, kann uns nicht Rede stehen. Er hat sich nach Bad Ems abgesetzt und ist bereits Amerikaner.
Das Kellervolk hier im Haus ist jedenfalls überzeugt, daß seine Höhle eine der sichersten sei. Nichts Fremderes als ein fremder Keller. Ich gehöre nun seit fast drei Monaten dazu und fühle mich trotzdem noch fremd. Jeder Keller hat andere Tabus, andere Ticks. In meinem alten Keller hatten sie den Löschwassertick. Allerorten stieß man sich an Kannen, Eimern, Töpfen, Fässern, in denen eine trübe Brühe stand. Trotzdem ist das Haus wie eine Fackel heruntergebrannt. Die ganze Löschbrühe wäre soviel gewesen wie einmal hineingespuckt.
Frau Weiers hat mir erzählt, daß in ihrem Keller der Lungentick grassiert. Sobald die erste Bombe fällt, beugen sich alle vornüber und atmen ganz flach, wobei sie die Hände gegen den Leib pressen. Irgend jemand hat ihnen gesagt, das verhindere Lungenrisse. Hier in diesem Keller haben sie den Mauertick. Alle sitzen sie mit dem Rücken gegen die Außenmauer. Bloß unter der Luftklappe ist eine Lücke in der Reihe. Bummst es, so kommt der Tüchertick hinzu: Alle winden sich ein bereitgehaltenes Tuch um Mund und Nase und verknoten es am Hinterkopf. Das hab ich noch in keinem Keller gesehen. Ich weiß nicht, wogegen der Lappen helfen soll. Aber wenn es ihnen guttut – !
Sonst das übliche Kellervolk auf den üblichen Kellerstühlen, unter denen vom Küchenstuhl bis zum Brokatsessel alle Typen vertreten sind. Die Leute: groß- und kleinbürgerlich gemixt mit proletarischen Einsprengseln. Ich schaue mich um, notiere:
Die Bäckersfrau voran, zwei feiste rote Bäckchen unterm Lammfellkragen. Die Apothekerswitwe, die einen Samariterkurs absolviert hat und manchmal hier unter den anderen Frauen auf zwei zusammengestellten Stühlen die Karten legt. Frau Lehmann, Gatte im Osten vermißt, die Kissentüte mit dem schlafenden Baby im Arm und den schlafenden vierjährigen Lutz, dessen Schnürsenkel lang herabbaumeln, auf dem Schoß. Der junge Mann in grauen Hosen, mit Hornbrille, der sich bei näherem Zusehen als junges Mädchen entpuppt. Drei ältliche Schwestern, Schneiderinnen, die wie ein schwarzer Pudding dahocken. Das Flüchtlingsmädel aus Königsberg/ Ostpreußen in seinem zusammengestoppelten Plunder. Der verbombte, hier eingewiesene Schmidt, Gardinengrossist ohne Gardinen und trotz seines hohen Alters pausenloser Schwätzer. Das Buchhändler-Ehepaar, das etliche Jahre in Paris gelebt hat und des öfteren halblaut miteinander französisch parliert...
Soeben hab ich zugehört, wie eine vierzigjährige Frau, in Adlershof verbombt und hier im Haus bei ihrer Mutter untergeschlüpft, von ihrer Ausbombung erzählte. Eine Sprengbombe hatte sich in Nachbars Garten gewühlt und auch ihr Haus, Frucht aus Gespartem, in Kleinholz verwandelt. Dabei war ihre ausgemästete Sau bis hoch hinauf in die Dachsparren geschleudert worden. »Die war nicht mehr zu genießen.« Auch das Nachbarsehepaar hatte dran glauben müssen. Zwischen Haustrümmern und Gartendreck hatte man die beiden zusammengesucht – was man eben fand. Es war ein schönes Begräbnis gewesen. Ein Männerchor der Schneiderinnung hatte am Grab gesungen. Zum Schluß allerdings ging es durcheinander. Die Sirenen heulten in das Lied von Gottes Rat hinein. Holterdiepolter mußten die Totengräber den Sarg hinunterlassen. Man hörte den Inhalt darin rumpeln. Und nun die Pointe, die Erzählerin kicherte schon im voraus in ihre bis dato wenig komische Geschichte hinein: »Und stellen Sie sich vor – als die Tochter drei Tage danach im Garten rumwühlt und guckt, ob noch was zu brauchen ist, da findet sie doch hinter der Regentonne wahrhaftig noch 'nen Arm vom Papa.«
Etliche haben kurz gelacht, die meisten nicht. Ob sie den Arm nachbegraben haben?
Weiter, die Kellerrunde. Mir gegenüber, in Decken eingewickelt, ein fiebrig schwitzender älterer Herr, Kaufmann von Beruf. Ihm zur Seite seine Gattin, die hamburgisch s-pitz s-pricht, und die achtzehnjährige Tochter, ausgerechnet S-tinchen gerufen. Dann die kürzlich eingewiesene Blonde, die keiner kennt, mit ihrem ebenso unbekannten Untermieter Hand in Hand. Die mickrigen Postrats a.D. – sie stets und ständig mit einer Beinprothese im Arm, einem kunstvollen Ding aus Nickel, Leder und Holz – eine unvollständige Pietá.
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