Das Blutschwert
Prolog
Alle Sitze in der ersten Reihe des alten Majestic Theaters waren von Leichen besetzt. Die Toten mit ihren glasigen Augen und den zerfetzten Kehlen hatten die besten Plätze im Haus.
Aber der letzte Vorhang war noch nicht gefallen, und so weit es Buffy Summers betraf, war bis zu diesem Zeitpunkt der Ausgang der Show völlig offen.
Zeit für eine kleine Improvisation, dachte sie. Allerdings wäre ihr viel wohler gewesen, wenn sie auch nur die leiseste Ahnung gehabt hätte, was der behaarte, großmäulige Vampir, der dringend eine Abmagerungskur brauchte - und sich zu allem Überfluss auch noch König Lear nannte -, mit Xander und Cordelia gemacht hatte.
Auf der Galerie stand ein einzelner Scheinwerfer, der den schweren roten Samtvorhang vor der Bühne anstrahlte. In dem Lichtstrahl flirrte der Staub - aber der Rest des Theaters lag im Dunkeln. Das Majestic war alt und renovierungsbedürftig, aber immer noch wunderschön. In dieser Hinsicht ähnelte es Mrs. Paolillo, die in der vergangenen Woche für drei Tage Buffys Englischlehrer vertreten hatte.
Bis vor drei Jahren waren im Majestic regelmäßig Musicals und Theaterstücke aufgeführt worden, aber nie war jemand auf die Idee gekommen, es zu einem Kino umzubauen.
»Ich... nun, ich nehme an, dir ist klar, dass dies eine Falle ist?«, flüsterte Giles hinter ihr.
Buffy verdrehte die Augen. »Also wirklich, Giles, für wen halten Sie mich? Ich bin inzwischen lange genug Vampirjägerin, um eine Falle zu erkennen, wenn ich sie sehe.«
»Ja, äh, nun gut«, murmelte Giles. »Es ist nur so, dass.«
»... dass in diesem Moment vier besonders hungrige Blutsauger über unseren Köpfen auf der Galerie lauern?«, wisperte Buffy.
»Genau das meine ich, ja«, erwiderte Giles. »Erinnere mich daran, wenn ich wieder einmal darauf bestehe, dich bei deinen Ausflügen zu begleiten. Du scheinst auch allein klarzukommen.«
Buffy griff in ihren Jagdbeutel und reichte Giles ein großes hölzernes Kruzifix und einen langen, an einem Ende angespitzten Pflock.
»Einhundert Personen wurden befragt. Die fünf häufigsten Antworten lauteten«, witzelte Buffy, »erstens: Giles hat kein Privatleben.« Trotz der gespannten Atmosphäre, die in den dunklen Gängen des Theaters herrschte, huschte ein Lächeln über Buffys Gesicht, als sie sich jetzt zu Giles umdrehte und seine Reaktion sah: Er schnappte nach Luft und legte den Kopf zur Seite, wie er es immer tat, wenn er tief gekränkt aussehen wollte.
Rupert Giles war nicht nur der Bibliothekar der Sunnydale High School, sondern auch Buffys Mentor. Als ihr Wächter war er für das Training und das allgemeine Wohlergehen der Jägerin verantwortlich. Als ihr Freund musste er sich ständig neue Frotzeleien gefallen lassen. Seine etwas steife Art war immer wieder für den einen oder anderen Witz gut.
Aber Buffy würde niemals zulassen, dass Giles - ihrem verknöcherten Engländer - etwas zustieß. Und deshalb musste sie ihm etwa zwei Sekunden später erneut einen Tritt in sein wohl verhülltes Hinterteil geben.
»Runter, Giles!«, stieß Buffy hervor, während sie nach vorn stürzte. Gleichzeitig versetzte sie Giles einen Stoß, der ihn zwischen die Klappsitze aus Holz und Metall rutschen ließ.
Es regnete Vampire.
Der erste fiel direkt in den Pflock. Er wog fast zweihundert Pfund, und sie wankte unter der Last des lebenden Toten. Sie wollte sich eigentlich hinwerfen, abrollen und wieder aufspringen, aber das erwies sich als überflüssig. In dem Moment, als der Pflock sein Herz durchbohrte, explodierte der Vampir und löste sich in Aschenregen auf. Die nächsten beiden landeten gleichzeitig auf dem Boden, und einer von ihnen packte Buffys Arm und zerrte an ihrer Bluse. Ein Kragenknopf platzte ab, und der Stoff des Ärmels riss.
»Oh!«, knurrte sie. »Das ist nicht besonders nett.«
Sie versetzte dem Vampir einen Tritt gegen das Kinn, der seinen Kopf nach hinten schnellen ließ. Dann wirbelte sie herum. Der nächste Tritt landete auf seinem Solarplexus.
Der andere Vampir griff sie von der Seite an. Sie duckte sich und schleuderte ihn im hohen Bogen über die Sitzreihen. Sein Kumpan erholte sich allmählich von dem Tritt und stürzte sich erneut auf sie. Dabei knurrte er wie ein tollwütiger Hund.
Buffy knurrte zurück. Sie blockte seinen Angriff ab und trieb den Pflock durch die Rippen des Vampirs mitten in sein Herz.
»Wohl bekomm’s«, fauchte sie und wandte sich ab, bevor er zu Staub zerfiel.
Ein paar Reihen weiter
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