Eine Frau in Berlin
überall war Aufbruchstimmung. Drinnen unterm Waschkessel hatten sie eigenhändig Feuer gemacht; ein Offizier wollte baden. Die Mannschaften schrubbten sich im Freien, in Schüsseln, die sie auf Stühle gestellt hatten; mit nassen Handtüchern rubbelten sie sich die breiten Brustkästen blank. Heute habe ich eine Eroberung gemacht: Mit Gesten und Deutschbrocken gaben mir unsere jungen Knutscher zu verstehen, daß »der da« sich in mich verliebt habe und bereit sei, alles für mich zu tun, wenn ich... »Der da« erwies sich als ein großer, breiter Soldat; ein Bauerngesicht mit treuherzigen Blauaugen, schon graue Schläfen. Er schaute verschämt weg, als ich zu ihm hinblickte, näherte sich dann schrittchenweise, nahm mir den schweren Wassereimer ab und trug ihn für mich zur Waschbütte. Ein ganz neues Muster! Auf den tollen Einfall ist bisher keiner gekommen. Dann, noch größere Überraschung, sagte er auf deutsch, ganz ohne russischen Akzent: »Morgen geht es fort, weit fort von hier.« »Hier« sagt er, nicht »chier«. Ich war gleich im Bilde. Ein Volksdeutscher. Er bestätigte das, ja, er ist an der Wolga daheim, Deutsch ist seine – leicht eingerostete – Muttersprache. Den ganzen Tag war er um mich herum, bevaterte mich mit freundlichen Äuglein. Den Knutschdreh hat er nicht, ist eher schüchtern, ein Bauer. Bloß immerzu der hundetreue Blick, in den er alles mögliche hineinzulegen versuchte. Solange er in meiner Nähe war, ließ das Gekneife und Geschiebe der Männer um unsere Waschbütte herum nach.
Wir plagten uns wieder redlich zu dritt. Die kleine Gerti war heute äußerst vergnügt, sang und trällerte in einem fort. Sie ist so froh, weil sie seit heute weiß, daß es kein kleiner Rußki geworden ist, damals auf dem Sofa. Wobei ich mir überlege, daß ich jetzt eine Woche überfällig bin. Trotzdem hab ich keinerlei Vorgefühle, glaube immer noch, daß ich durch mein innerliches »Nein« mich dagegen habe zusperren können.
Die glückliche Gerti hatte arge Schmerzen. Wir suchten sie ein bißchen zu schonen, wuschen ihr die Sachen weg. Der Tag war grau und schwül, die Stunden schlichen. Gegen Abend kamen die Russen einer nach dem anderen daher und holten sich die mittlerweile getrockneten Sachen. Einer drückte ein zierliches Damentaschentuch mit Häkelsaum ans Herz und sprach, die Augen schwärmerisch verdreht, bloß ein Wort: den Ortsnamen »Landsberg«. Auch so ein Romeo, wie mir deucht. Vielleicht wird auch Petka in seinen sibirischen Wäldern dereinst seine Holzfällerpratze aufs Herz drücken und mit ähnlich verdrehten Augen meinen Namen murmeln – falls er mich nicht noch nachträglich holzhackend verflucht.
Im Abreisegetümmel brachte uns der Koch heute kein Truppenessen. Wir mußten die Graupensuppe in der Kantine mitschlappern. Dort ging die Parole um, daß der uns vorige Woche zugesagte Lohn von acht Mark pro Tag niemals ausgezahlt werde, daß alles Geld von den Russen eingesteckt worden sei. Dazu eine zweite, noch wildere Parole: Im Radio sei gesagt worden, daß ein Mongolensturm sich über Berlin ergießen werde, daß selbst Stalin diese Horden nicht bändigen könne und ihnen drei Tage Plünder- und Schändefreiheit habe gewähren müssen und allen Frauen anrate, sich in den Häusern zu verstecken... Der blanke Irrsinn, zweifellos. Aber die Frauen glauben's und schnattern und jammern durcheinander, bis unsere Dolmetscherin dazwischenfährt. Ein starkes Frauenzimmer, Dragonertyp. Sie duzt uns alle und tutet mit unseren Antreibern ins selbe Horn, obwohl sie keinen Auftrag dazu hat, sondern als Arbeiterin hergetrieben worden ist wie wir alle, bis sie dank ihrer paar Brocken Russisch (sie stammt aus dem polnischen Oberschlesien) zur Dolmetscherin aufgestiegen war. Was die sprachlich kann, kann ich lange. Ich bin aber heilfroh, daß ich nicht damit herausrückte. Ich hätte äußerst ungern Befehle und Treiberrufe übersetzt. Wir fürchten uns alle vor dieser Dolmetscherin. Sie hat spitze Eckzähne und einen grellen, boshaften Blick. So stelle ich mir Aufseherinnen im KZ vor.
Am Abend in der Kantine wurde uns die Entlassung kundgetan. Nach unserem Sold, so hieß es, sollten wir nächste Woche im Rathaus fragen, Zimmer soundso, Kasse. Vielleicht gibt es dort wirklich Lohn, vielleicht auch nicht. Wir müssen es abwarten. Ich habe der kleinen Gerti und meiner anderen Mitwäscherin die Hand gedrückt – vorsichtig, denn wir haben alle drei aufgewaschene Hände – und ihnen alles Gute
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