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Eine Freundin zum Anbeissen

Eine Freundin zum Anbeissen

Titel: Eine Freundin zum Anbeissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Gehm
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verließ. Eins stand fest: ›Familie T./Nr. 23‹ musste weiter beobachtet werden. Möglicherweise sogar intensiver.

Friedhofsnotizen
    S ie saß auf ihrem Lieblingsplatz. Der Stein war groß, rund und mit Moos bewachsen. Er war von hohen Gräsern umgeben, und die Grabsteine rundherum ragten stumm wie Pfähle im Wasser aus dem Gras heraus. Helene hatte keine Angst vor ihnen. Sie kannte sie alle. Es waren ihre Freunde.
    Helene riss einen Grashalm aus der Erde und fuhr sich damit über den linken Arm, auf dem ein sechsarmiges Monster mit Warzen, Glupschaugen und messerspitzen Zähnen eine haarige Riesenspinne jagte. Helene hätte gerne echte Tattoos gehabt. Aber das würde ihr Papa nie erlauben. Es hatte fast ein Jahr gedauert, bis er sich an die Zeichnungen auf dem Arm gewöhnt hatte. Er meinte, dass es nur eine Phase war, die bald vorbei sein musste. Erwachsene konnten ganz schön naiv sein.
    Helene holte ihr Tagebuch heraus. Es war ein kleines dunkelblaues Büchlein mit einem glänzenden Leseband. Selten schrieb Helene mehr als ein paar Zeilen. Aufsätze hatte sie genug im Deutschunterricht auf. Meistens notierte sie einfach, was ihr gerade einfiel – ein einziger Gedanke, eine Erinnerung oder eine Frage, die ihr durch den Kopf ging.
    Sie steckte den Stift in den Mund und überlegte. Helene dachte an Silvania und Daka Tepes. Seit sie sie zum ersten Mal gesehen hatte, spukten ihr die Schwestern durch den Kopf. Denn eins war klar: Die Schwestern waren anders als alle anderen Mädchen in der Schule. Nicht nur, weil sie seltsam gekleidet waren, ständig einschliefen, vom Balken torkelten und sich dann Zehenkrümel in die Nase steckten. Das war schon ziemlich schräg. Aber die leichenblassen Zwillinge umgab dazu noch etwas Düsteres. Unter dem Sonnencremeduft rochen sie leicht muffig. Oder bildetet Helene sich das nur ein?
    Helene war sich fast sicher, dass die Schwestern etwas zu verbergen hatten. Denn sie wusste, wie das war. Sie nahm den Stift aus dem Mund und schrieb ins Tagebuch: Haben Silvania und Daka Tepes auch ein Geheimnis, genau wie ich?

Schlafende
Schwestern
    S eit Helene Steinbrück Daka und Silvania Tepes im Schulflur angesprochen hatte, fanden es die Zwillinge nicht mehr ganz so schlimm, in die Gotthold-Ephraim-Lessing-Schule zu gehen. Aber es war immer noch schlimm genug. Die Schwestern waren tagsüber hundemüde. Silvania kniff sich ständig in die Arme, um wach zu bleiben. Daka hatte sich sogar in einer Pause heimlich in die Turnhalle geschlichen und kopfüber an den Stufenbarren gehängt, um ein Nickerchen zu machen. Ihr Schnarchen hatte den Hausmeister, Olaf Zecher, alarmiert, der dachte, ein wildes Tier aus dem Zoo hätte sich in die Turnhalle verirrt.
    Olaf Zecher fand manche Sachen lustig, die andere gar nicht lustig fanden. Er borgte sich die Trillerpfeife von Frau Renneberg und pfiff der schnarchenden Daka ins Ohr. Diese fiel vor Schreck vom Barren. Zum Glück hatte Olaf Zecher nicht nur einen seltsamen Humor, sondern auch viel Kraft und hohe Reaktionsgeschwindigkeit. Er fing Daka auf, bevor sie auf dem Boden landen konnte.
    Herr Graup hatte die Geschichte mit der Tomate und der Kopfnuss noch nicht vergessen. Er ignorierte Silvania meistens, wenn sie sich meldete, und nahm Daka dafür dran, wenn sie gerade träumte und Krypton Krax vor sich hinsummte. Wusste Daka die Antwort dann nicht (also fast immer), seufzte Herr Graup und nahm Rafael Siegelmann dran. Er wusste jede Antwort.
    Lucas Glöckner wusste nie eine Antwort, wurde aber auch nie von den Lehrern aufgerufen. Bis auf die Musikstunde. Frau Burckhardt liebte Lucas' knabenhelle Stimme und versuchte ihn in jeder Stunde zu überreden, dem Schulchor beizutreten. Lucas hasste seine knabenhelle Stimme. Er hätte lieber tief und donnernd wie ein Monster gesprochen. Monster mussten auch nicht in den Schulchor.
    Ludo Schwarzer dagegen redete so leise, als würde er sich jeden Moment in Luft auflösen. Dabei sagte er sowieso kaum etwas (und wenn, dann meistens zu sich selbst). Er streifte wie ein Panther durch die Schulgänge, seine Bewegungen waren sanft und schnell zugleich. Von einer Sekunde auf die andere tauchte er an einem anderen Ort auf. Es schien fast, als könne er flopsen. So kam es den Zwillingen zumindest vor. Doch dann hätte er ein Vampir oder ein Halbvampir sein müssen. Und das war er nicht. Die Zwillinge hätten es sofort gerochen.
    Zum Glück gab es Helene Steinbrück. Daka und Silvania waren sich einig, dass Helene nicht nur

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