Eine Freundschaft im Winter
Oktober wieder? Mike, du musst wissen, Lisa hasst Abschiede. Sie will sich immer davonschleichen, bevor irgendjemand mitbekommt, dass es so weit ist.«
»Und das hätte auch geklappt, wenn ihr euch nicht eingemischt hättet«, erwiderte Lisa.
»Gut, ich werde so tun, als wäre nichts.« Jill umarmte sie so lange, dass Mike sich wünschte, er wäre an Lisas Stelle. »Danke«, flüsterte sie ihr ins Ohr. »Danke für alles.«
»Ach, schon gut«, erwiderte Lisa leise. »Und jetzt lass mich los, damit ich heute noch meinen Spaß haben kann.«
Jill lachte und ließ sie los. Und als die beiden das Restaurant verließen, drehte Lisa sich noch einmal um und warf Jill ein Lächeln zu. Jill winkte und bekam feuchte Augen.
Mike ergriff ihre Hand. »Sollen wir die schöne Route zurück nehmen?«, fragte er.
»Ja, ein kleiner Verdauungsspaziergang wäre nicht schlecht«, sagte Jill.
»Darf ich dabei deine Hand halten?«
»Wenn ich mir damit nicht den Ruf ruiniere?«, scherzte sie.
»Du würdest mir einen großen Gefallen tun. Pete und Barb wollen mich ständig mit irgendwelchen Freundinnen verkuppeln, und es wird schwerer und schwerer, mich da zurückzuziehen. Wenn das hier die Runde macht, wäre ich endlich raus.«
»Also benutzt du mich nur«, zog sie ihn auf, als sie Hand in Hand die Straße entlangspazierten.
»Hättest du gegenüber Barbs Freundinnen dieselben Befürchtungen wie ich, würdest du die Gelegenheit auch nutzen.«
»Dafür schuldest du mir allerdings etwas.«
»Das geht in Ordnung. Es macht mir nichts aus, dir etwas zu schulden.« Er drückte zum Einverständnis ihre Hand.
Sie gingen die Main Street hinauf, und statt den Weg nach Hause zu nehmen, liefen sie weiter zum Park am Fluss.
Der helle Mond kam heraus und spiegelte sich auf dem tosenden Wasser. Mike hielt immer noch Jills Hand fest, und sie schlenderten einen Weg entlang, der sich stets in Flussnähe durch den Park schlängelte. Bisher hatte es jedes Mal, wenn er versucht hatte, ihr seine Gefühle zu gestehen, ein nur noch größeres Chaos gegeben. Also versuchte er es jetzt erst gar nicht, sondern legte nur stumm seine Hand an ihre Wange und küsste Jill lange und bedächtig. Er hoffte, dass sie fühlte, wofür er die Worte nicht fand.
Unvermittelt dachte er an Cassie, die in ein leeres Haus zurückkam. In ein Haus ohne Kate. Und in ein Haus ohne ihn, weil er hier war und mit Jill herumknutschte. Mit Jill, die nicht Kate war. Diese Gedanken zerstörten den Zauber. »Cassie ist wahrscheinlich schon zu Hause«, sagte er leise.
Jill nickte.
Mike nahm wieder ihre Hand, und Jill schmiegte ihre Wange an seinen Oberarm. Es fühlte sich seltsam an, mit einer anderen Frau als Kate zusammen zu sein. Es war aufregend und falsch zugleich.
Die Schneeschmelze hatte begonnen – es war die Zeit des Jahres, die jeder in der Stadt fürchtete. Überall schien Schlamm zu sein, Keller liefen voll, und alles, was den Winter über vom Schnee versteckt gewesen war, kam wieder zum Vorschein – Blätter, die man nicht zusammengeharkt, Müll, den man nicht aufgehoben hatte. Die Schneeschmelze war eine Übergangsphase, und Übergänge waren meist chaotisch und wenig angenehm. Seine Trauer kam ihm wie die Schneereste vor, die noch überall verteilt lagen. Mancherorts häuften sich neben den Häusern große Schneemassen, die von den Dächern heruntergerutscht waren und nun fast bis zu den Türschwellen reichten. Im Licht der Straßenlaternen sah er jedoch auch blanke Stellen in den Gärten, an denen der Schnee komplett geschmolzen war und die ersten grünen Stängel durchbrachen. Es war zwar immer noch zu früh und zu kalt, als dass man von richtigem Wachstum hätte sprechen können, doch das Leben kehrte allmählich zurück.
Als sie sich seinem Haus näherten, sagte er: »Möchtest du noch auf einen Drink mit hereinkommen? Wenn Cassie im Bett ist, könnten wir …« Er sprach nicht weiter.
Jill zögerte. »Einerseits möchte ich schon, aber Cassie … Ich weiß nicht, wo im Augenblick die Grenze zwischen Rücksicht und Betrug ist.«
»Das ist alles neu für mich«, gab Mike zu und begleitete sie zum Zwinger. Als sie dort angekommen waren, gab er ihr einen Gutenachtkuss.
»Ich frage mich, was deine unerwartete Belohnung sein wird«, sagte er.
Sie lächelte. »Ja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Und ich frage mich, wie dein neues Interessengebiet aussieht.«
»Hm … Da hätte ich schon die eine oder andere Idee«, erwiderte er und gab ihr noch
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