Eine Freundschaft im Winter
Schlüssel, und die Tür sollte eigentlich abgeschlossen sein«, erwiderte Jill.
Cassie antwortete nicht. Stattdessen stellte sie den Fernseher an und drehte die Lautstärke hoch.
Jill packte die Lebensmittel aus und fragte sich, ob das hier ein Kampf war, den sie austragen wollte, und wenn ja, ob sie tatsächlich die Chance hatte, ihn zu gewinnen. Sie schenkte Cassie ein großes Glas Limonade ein und brachte es ihr.
»Ist die Lautstärke so angenehm für dich?«, erkundigte Jill sich unschuldig.
»Ja«, versetzte Cassie knapp. »Und ich werde den Fernseher nicht leiser drehen. Das hier ist mein Haus.«
»Oh, ich wollte dich gar nicht bitten, ihn leiser zu drehen«, entgegnete Jill. »Ich werde deinem Vater nur den Rat geben, möglichst bald mit dir zum Ohrenarzt zu gehen, um dir ein Hörgerät verschreiben zu lassen. Ich weiß, dass Kinder solche Geräte nicht gern tragen, doch du hast ja lange Haare, die die Teile prima verdecken.« Damit lächelte sie freundlich und ging in die Küche zurück, um das Abendessen zuzubereiten.
Als die Limonade ihre Wirkung zeigte und Cassie im Badezimmer verschwand, nutzte Jill die Gelegenheit, schnappte sich das Kabel, das den Anschlusskasten mit dem Fernseher verband, und versteckte es kurzerhand im Trockner. Da Cassie sowieso nicht im Haushalt half, war Jill sich sicher, dass sie das Kabel dort niemals finden würde.
»Was hast du mit dem Fernseher gemacht?«, fragte Cassie wütend, als sie zurückkam.
»Der Apparat ging plötzlich nicht mehr«, antwortete Jill.
»Ach ja? Ich gehe für zwei Sekunden ins Bad, und in dieser höchst unwahrscheinlichen Zeit geht der Fernseher nicht mehr?«
»Sehr gute Verwendung des Ausdrucks ›höchst unwahr scheinlich‹!«, sagte Jill. »Ich bin beeindruckt! Hast du den Wahr scheinlichkeitsbegriff in Mathe oder in den Naturwissenschaften gelernt?«
»Warum bist du überhaupt hier?«, fuhr Cassie sie an. »Dad sagt, du wärst Krankenschwester. Warum musst du dann als Kindermädchen arbeiten?«
Jill dachte einen Moment über die Frage nach und sagte dann: »Manchmal passiert im Leben etwas, das alles verändert.«
»Du magst wahrscheinlich bloß meinen Dad.«
Jill schüttelte den Kopf und sagte: »War nett, mit dir geplaudert zu haben, Cassie.« Damit ging sie zurück in die Küche.
Cassie folgte ihr. »Er ist nicht frei.«
»Wow, du äußerst wirklich kühne Vermutungen. An deiner Stelle würde ich den Mund nicht zu voll nehmen.«
»War das eine Drohung?« Für einen kurzen Moment sah Cassie sie an, wie Kate es früher getan hatte – als würde sie nicht verstehen, worum es ging.
»Also, was wird dir in Arizona am besten gefallen, Cassie? Der Sonnenschein?«
»Ich hasse dich.«
»Tja, das ist doch etwas, was du nach Herzenslust in Arizona machen kannst. Das ist fast so lustig wie Skifahren«, schoss Jill zurück.
Cassie stürmte die Treppe hinauf, knallte die Tür hinter sich zu und trat noch einmal dagegen.
Jill machte gefüllte Burritos, stellte einen Teller für Cassie in den Kühlschrank und setzte sich dann zum Lesen ins Wohnzimmer.
Später am Abend, als Cassie von Albträumen geplagt schrie und weinte, eilte Jill zu ihrem Zimmer, blieb dann aber einen Augenblick lang vor der Tür stehen, ehe sie nach dem Knauf griff. Als sie versuchte, die Tür zu öffnen, stellte sie fest, dass diese abgeschlossen war. Eine ganze Weile stand sie da, unsicher, was sie jetzt tun sollte. Schließlich ging sie in die Küche, erhitzte in der Mikrowelle einen Becher Milch, gab Kakaopulver und kleine Marshmallows hinein und brachte den Kakao nach oben.
Sacht klopfte sie an. »Cassie? Ich habe dir Kakao gemacht.«
Im Zimmer war es still.
»Ich stelle den Becher vor die Tür – bitte stolpere nicht darüber.« Damit zog sie sich zurück.
Am nächsten Tag saß Jill schweigend vor einer Tasse Tee, während sich Cassie oben fertig machte. Jill fragte sich, worauf sie sich mit diesem Job eingelassen hatte. Andererseits hatte sie sich schon mit Patienten auseinandersetzen müssen, die noch viel schwieriger gewesen waren.
Kurz darauf stürmte Cassie in die Küche, schnappte sich einen Müsliriegel und eine Banane und eilte dann so schnell wie möglich zur Tür. Es fiel kein einziges Wort.
Jill holte gerade das Kabel aus dem Trockner hervor, als Mike hereinkam.
»Hi!«, rief er.
»Hallo«, sagte Jill.
»Wie ist es gelaufen?« Er wirkte zuversichtlich.
Sie hasste es, seine Hoffnungen zerschlagen zu müssen, und zuckte beim bloßen Gedanken
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