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Eine Freundschaft im Winter

Eine Freundschaft im Winter

Titel: Eine Freundschaft im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaya McLaren
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ein Zittern. Es war das erste Mal gewesen, dass er an einem derartigen Unfallort gewesen war. Man hatte ihn vorgewarnt, doch er hatte sich nicht vorstellen können, wie grauenvoll es tatsächlich werden würde. Als Huhn und Kartoffeln im Ofen waren, ging er in die Fahrzeughalle. »Brauchst du Hilfe?«, fragte er Mike.
    »Nein, ich bin schon fertig«, erwiderte Mike.
    Da Ben einen kurzen Moment reglos stehen blieb, fragte Mike ihn besorgt: »Geht es dir gut?«
    Ben zuckte mit den Schultern. »Geht es dir denn gut?«
    Mike schüttelte den Kopf. Der Einsatz war auch ihm nahegegangen, allerdings aus anderen Gründen. Mike hatte schon öfter Menschen gesehen, die sich einen Revolver in den Mund gesteckt und abgedrückt hatten. Er wusste, dass er damit rechnen musste, in der Decke feststeckende Zähne zu finden und Gehirnmasse, die von der Wand tropfte. Mehr als einmal hatte er das Gesicht eines Mannes gesehen, dessen Hinterkopf fehlte. Mittlerweile konnte er anhand der Verletzung sogar erkennen, welches Kaliber benutzt worden war. Aber dieses Mal war es ihm aus einem anderen Grund nahegegangen.
    »Das war eine ziemliche Sauerei«, sagte Ben.
    »Das ist wahr«, stimmte Mike ihm zu. Er widmete sich wieder der Kettensäge, die er gerade gesäubert hatte, und versuchte, die entsetzliche Erinnerung beiseitezuschieben. Doch er spürte, dass Ben ihn noch immer ansah. Schließlich sagte er: »Ich muss nur die ganze Zeit daran denken, wie sehr Kate um ihr Leben gekämpft hat, während dieser Kerl es einfach weggeschmissen hat. Das macht mich wütend.«
    Ben nickte mitfühlend. »Verstehe.«
    »Weißt du, in meinem Kopf gibt es einen Raum mit einer dicken Stahltür und einem Vorhängeschloss, in den ich alle fürchterlichen Einsätze sperre. Ich sehe mir die Tür nicht einmal mehr an. Ich weiß, was sich dahinter verbirgt. Aber seit Kates Tod scheine ich sie nicht mehr ganz schließen zu können«, sagte Mike.
    Ben dachte darüber nach. »Wenn ich nach Hause komme, wartet dort niemand auf mich. Und wenn ich bei einem Unfall mit Todesfolge war, habe ich manchmal das Gefühl, die Opfer würden mich verfolgen. Ich drehe mich um und kann niemanden sehen, also weiß ich, dass es nicht stimmt … Ich hatte einen Bewegungsmelder im Hinterhof, der ständig an war. Jetzt habe ich ihn abgeschaltet. Ich weiß, dass es albern ist, doch ich habe Angst, dass er anspringt und ich nach draußen gehe und dort einen Geist erblicke. Wenn ich tagsüber daran denke, ist mir klar, dass diese Gedanken die eines Kindes sind, das Angst vor dem Monster unter seinem Bett hat, und dass es absolut lächerlich ist. Nachts jedoch … Ich weiß es nicht, aber dann drehe ich irgendwie durch.«
    »Es ist schön, jemanden zu haben, der einen zu Hause erwartet – einen anderen Erwachsenen, meine ich. Mir fehlt das auch. Kates bloße Anwesenheit hat mich in eine andere Welt gezogen – eine Welt ohne tote Kinder und Menschen, die sich selbst und andere erschießen«, sagte Mike. »Sie hat meine Welt ins Gleichgewicht gebracht.«
    »Es wäre schön, jemanden zu haben«, sagte Ben.
    »Du wirst jemanden finden«, versicherte Mike ihm. »Du wirst noch jede Menge grauenvoller Scheiße sehen, Junge. Und wenn du denkst, dass du das Schlimmste gesehen hast, wirst du etwas sehen, das noch fürchterlicher ist. Doch irgendwann wirst du auch mal jemanden retten, und das fühlt sich gut an. Außerdem wirst du eines Tages nicht mehr der Neue sein, und dann wirst du uns dabei helfen, einen anderen armen Tropf dazu zu bringen, uns allen Eiscreme zu kaufen.«
    Ben lächelte. »Ich habe Dreyers Pfefferminzeis mit Schokoladensplittern besorgt – deine Lieblingssorte. Dir ist aber schon klar, dass es nicht ewig so weitergehen wird. Ich habe Eis für meine erste Fahrt spendiert, für jede wöchentliche Probeübung, für mein erstes Feuer und jetzt für die erste Geburt bei einem Einsatz. Diese Quelle versiegt allmählich. Jetzt muss ich nur noch Eis besorgen, wenn mein Bild in der Zeitung ist. Und das wird niemals passieren, weil ich immer hinten sitze.«
    »Du bist ein gut aussehender Junge, Beano. Marcia von der Zeitung wird dein Bild sehr oft bringen«, zog Mike ihn auf. Die Jungs nannten ihn seit einem Chili-Bohnen-Gericht in seiner ersten Woche auf der Wache Beano, und irgendwie war ihm der Name geblieben.
    »Du bist allerdings derjenige, der bei allen Umzügen und Paraden fährt, Magoo«, erwiderte Ben. Er benutzte Mikes Spitznamen, den sie ihm nach einem Einsatz verpasst hatten,

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