Eine Freundschaft im Winter
glücklich sein wird.«
Jill stand auf und ging ins Badezimmer, damit Cassie ihre Tränen nicht sah. Sie fragte sich, ob sie zu weit gegangen war, ob es angemessen war, einer Zehnjährigen so etwas zu erzählen. Sie spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und starrte ihr Spiegelbild an. »Reiß dich zusammen, Jill«, sagte sie zu sich selbst, atmete ein paarmal tief durch und ging dann zurück zu Cassie und ihren Hausaufgaben. Sie blickte das Mädchen nicht an, sondern setzte sich nur wortlos wieder hin.
Cassie hatte eine halbe Seite über die Dinge geschrieben, für die sie dankbar war – für ein Zuhause, für ihren Dad, für ihren Kater, für genug Essen, für sauberes Wasser, fürs Skifahren. Und sie war dankbar dafür, hier bei ihrem Dad bleiben zu können, statt nach Arizona zu ihren Großeltern ziehen zu müssen. Außerdem war sie dankbar für Jill, die das möglich gemacht hatte, indem sie ihr Kindermädchen geworden war, als niemand anders diese Aufgabe hatte übernehmen wollen.
Jill blickte Cassie über die Schulter und sagte: »Vergiss nicht aufzulisten, dass ich dir keine Tiefkühlgerichte vorsetze.«
Cassie grinste und schrieb: Darüber hinaus füttert Jill mich im Gegensatz zu den anderen Kindermädchen nicht mit beschissenem Tiefkühlessen. Sie kocht gut. Und sie atmet nicht so seltsam wie Nancy.
»Du solltest dir ein anderes Wort für ›beschissen‹ überlegen«, sagte Jill, und Cassie radierte das Wort aus und ersetzte es durch ›ekelhaft‹.
»Wie lang soll der Aufsatz werden?«, fragte Jill.
»Eine Seite.«
»Was ist mit Freunden? Kannst du etwas über eine Freund schaft schreiben, für die du dankbar bist? Das würde noch einige Zeilen füllen.«
»Ich habe keine Freunde.«
»Wie ist das möglich?«, fragte Jill.
»Ich habe nicht mehr mit ihnen geredet, und jetzt redet auch keiner mehr mit mir«, sagte Cassie.
»Warum nicht?«
Cassie zuckte die Achseln. »Worüber sollten wir denn reden?«
Jill beschloss nach einer kurzen Pause, es gut sein zu lassen. »Onkel Howard würde die Natur einfallen. Ja, du könntest etwas über die Wunder der Natur schreiben.«
» Onkel Howard?«, fragte Cassie. »Der Howard, der auf dem Berg wohnt und so viele Bücher hat?«
»Genau der«, entgegnete Jill. »Was hat er dich lesen lassen?«
»Vor einem Jahr hat er mir Hoffnung für die Blumen gegeben, damit ich nicht enttäuscht bin, wenn ich eines Tages die Olympischen Spiele gewinnen sollte. Er sagte, ich solle hinter fragen, was echter Erfolg bedeutet.«
Jill schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Das ist typisch mein Onkel.« Während sie das Geschirr abräumte und spülte, füllte Cassie die restliche Seite mit Argumenten, warum sie für die Natur dankbar war.
»Gute Arbeit«, sagte Jill, als sie es sich noch einmal durchgelesen hatte. Es war schon spät, für gewöhnlich ging Cassie mindestens eine Stunde früher zu Bett. »Jetzt wird es aber wirklich Zeit. Ich hoffe, dein Vater ist nachsichtig mit dir, wenn du alle Hausaufgaben gemacht hast.«
»Danke«, sagte Cassie, während sie ihre Tasche packte. Und ohne aufzusehen sagte sie noch: »Es tut mir leid.«
»Was tut dir leid?«, fragte Jill irritiert.
»Das, was mit deinem Baby passiert ist. Und es tut mir leid, dass ich so gemein war.«
Jill nickte, bedankte sich und beließ es dabei.
Lisa rollte den Plätzchenteig aus und fertigte mit dem Ausstecher in Form eines Lebkuchenmannes die Kekse an. Sie hoffte, dass der Ingwer Jills Magensäfte anregen würde. Jill musste mehr essen, und Lisa betrachtete es als ihre Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass sie es auch tatsächlich tat.
Es klopfte, und Tom kam durch die Hintertür in die Küche. »Was riecht denn hier so lecker?« Als er das Blech mit den Keksen sah, die auf den Herdplatten abkühlten, keuchte er auf. »Plätzchen!«
»Bingo«, sagte Lisa, milde gestimmt durch seine jungenhafte Begeisterung.
Als er nach einem Keks greifen wollte, fiel ihm auf, dass die Köpfe der Lebkuchenmänner in der unteren Reihe genau zwischen den Beinen der darüberliegenden steckten. »Him mel, Lisa, was treiben deine Lebkuchenmänner da? Das ist ja die reinste Orgie auf deinem Blech! Du hast Pornoplätzchen gebacken!«
Lisa schlug ihm mit dem Pfannenwender auf den Hintern. »Das denkst auch nur du, Tom Cat. Nur du!«
Tom machte den Besenschrank auf und befestigte Lisas Bild auf seinem Leiterspiel auf dem ersten Feld. »Köstlich«, sagte er und rückte sie auf das zweite Feld weiter. »Übrigens: Sexy
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