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Eine Freundschaft im Winter

Eine Freundschaft im Winter

Titel: Eine Freundschaft im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaya McLaren
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an den Körper, raste in die Schneemenge hinein und musste sich sozusagen durchwühlen. Sie konnte weder atmen noch besonders viel sehen und fuhr einfach weiter. Sie raste durch den weißen Raum und hoffte nur, dass sie nicht irgendwo anstieß. Fast hätte sie einen Schnorchel brauchen können, um ausreichend Luft zu bekommen. Dann endlich kam sie aus dem Kessel heraus.
    Auf ihrer weiteren Abfahrt traf sie keine Menschenseele. Der Sturm hatte ihre Welt geschrumpft und bot ihr völlige Einsamkeit. Sie fuhr im Rhythmus der Musik und tanzte fast den Berg hinunter. Nach einem steilen Abhang näherte sie sich einem kleinen Kamm. Statt langsamer zu werden, ging sie in die Hocke und sprang einfach darüber hinweg. Aus den Augenwin keln sah sie Baum um Baum vorbeirauschen, während sie durch die Luft segelte. Sie zählte, wie sie für fast sieben Sekunden knapp über dem Boden dahinflog. Mit einem leisen Zischen trafen ihre Skier wieder den Boden. Sie raste weiter den Hang hinab.
    Nachdem Jill sich nun dem Sturm ergeben hatte, hatte sie den Spaß ihres Lebens. Sie versuchte zu ergründen, wie sie die selben Prinzipien auf die Stürme anwenden könnte, die in ihrem Leben, in ihrem Körper, in ihrer Ehe gewütet hatten, aber sie konnte keine Parallelen ziehen. Eines erkannte sie jedoch: Am Tag nach einem Sturm, wenn der frische Schnee eisige oder bloße Stellen bedeckte, war das wie ein Neubeginn.
    In dem Moment sauste Cassie an ihr vorbei. Jill erkannte Cassies rote Jacke mit dem orangefarbenen Streifen an der Seite wieder. Eigentlich war Jill der Meinung gewesen, schon schnell gefahren zu sein, doch Cassie überholte sie spielend. Cassie fuhr über eine Schanze, hob ab, zog ihre Skier an und machte einen sauberen 360er um die eigene Achse. Genial, dachte Jill und be obachtete, wie die Kleine nach der Drehung anmutig landete. Jill stieß sich mit den Skistöcken ab, um schneller zu werden. Sie holte Cassie zwar nicht ein, schaffte es aber, ihr auf den Fersen zu bleiben.
    Am Lift bemerkte Cassie sie. »Hallo, Jill«, sagte sie und umarmte sie kurz. »Ich dachte, du wärst mein Dad.«
    Jill lächelte. »Das war ein super 360er«, bemerkte sie. »Wunderbar!«
    »Das Schöne am Schnee ist, dass es nicht so wehtut, wenn man auf den Kopf fällt«, sagte Cassie.
    Steckt darin nicht unglaublich viel Wahrheit, dachte Jill. Was für ein ausgetüfteltes Gleichgewicht von Sicherheit und Risiko das Beste aus uns rausholt.
    Mike kam neben ihnen zum Stehen. »Hey, Jill, netter Sturm, nicht wahr?«
    Sie nickte. »Fantastisch.«
    »Cassie, du wirst deinem Vater noch einen Herzinfarkt bescheren, wenn du weiter so Ski fährst«, sagte Mike zu ihr.
    »Weil du mit ihr mithalten musst oder wegen der unglaublichen Sprünge?«, fragte Jill herausfordernd.
    »Du ermunterst sie nicht, oder?«, entgegnete Mike.
    Jill schüttelte mit Unschuldsmiene den Kopf. Als er wieder zu Cassie sah, zwinkerte Jill der Kleinen hinter seinem Rücken zu. Kate hätte es sicherlich gefallen, sie so Ski fahren zu sehen.
    Als sie zusammen im Sessellift nach oben schwebten, fragte sich Jill, welche Mächte drei Menschen in einem Sturm zusammenbringen mochten. Vielleicht war es reiner Zufall, vielleicht war es auch etwas anderes. Sie wusste es nicht, doch sie war trotzdem dankbar dafür.
    Mike erinnerte sich daran, wie die Schneeflocken auf Jills Nase, Wangen und Lippen schmolzen. Er erinnerte sich daran, wie Cassie sie ansah – wie jemanden, der ihr in dem Moment einen Rettungsring zuwarf, als sie zu müde war um weiterzuschwimmen. Er erinnerte sich daran, wie Jill Cassie ansah – in ihrem Blick lag Liebe. Er erinnerte sich daran, wie Jill und Cassie einander hinterherjagten und wie sie zusammen lachten. Und er erinnerte sich daran, wie er Jills Figur bewunderte, wann immer sie in die Hocke ging.
    Am Ende der dritten gemeinsamen Abfahrt kam Cassie wieder mal vor Jill an der Skihütte an.
    »Kind, du bist so verdammt schnell!«, rief Jill, löste die Bin dungen ihrer Skier und ging zu Cassie, um mit ihr abzuklat schen.
    Mike hielt neben ihnen an, schnallte die Skier ab und hob seine Tochter über die Schulter wie einen Sack Kartoffeln. »Wer hat Lust auf einen Kakao?«, fragte er.
    Cassie schrie: »Nein! Jill, hilf mir!«
    Sie lachten, und zum ersten Mal seit einer Ewigkeit war alles gut. Es fehlte an nichts. Es fühlte sich vollkommen an.
    Daran erinnerte er sich.
    Und er erinnerte sich daran, mit drei Bechern Kakao in der Kassenwarteschlange der Cafeteria zu stehen und

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