Eine Freundschaft im Winter
es von außen betrachtete, so als würde sie über der Szenerie schweben, sah sie sich selbst auf einer widerlichen Couch voller Hundehaare in einem Trailer sitzen, der nach Haschisch stank, getröstet von einem Mann, der seit Weihnachten wahrscheinlich schon zehn andere Frauen auf diese Art getröstet hatte. Es war traurig. Also beschloss sie, sich auf die innere Betrachtung zu konzentrieren. Und da ging es nur um den Trost, den sie empfand, und sie konnte die Warmherzigkeit eines Freundes genießen und in Ruhe einschlafen.
20. Kapitel
Schneebericht für den 17. Februar
Aktuelle Temperatur: –2,8 °C, Höchstwert: –2,2°C um 14 Uhr, Tiefstwert: –4,4°C um 4 Uhr.
Schwerer Schneefall. Wind aus Südost mit 8 km / h.
239 cm am Berg, 264 cm auf dem Gipfel; 46 cm Neuschnee in den letzten 24 Stunden; 64 cm Neuschnee in den letzten 48 Stunden.
S chnee dämpfte alle Geräusche, also war der Morgen still. Jill hatte an ihrem freien Tag lange geschlafen. Es war fast zehn Uhr. Sie spähte aus dem Fenster und sah die mindestens dreißig Zentimeter Neuschnee. Und es schneite noch immer. Schneeflocken erfüllten den Himmel. Manchmal wirbelten sie herum, manchmal schwebten sie anmutig zu Boden. Ein Teil von ihr wollte den ganzen Tag im warmen Bett bleiben und darauf warten, dass der Schneesturm zu Ende ging. Aber ein stärkerer Teil von ihr wusste, dass es ihr Spaß machen würde, wenn sie in den Tag starten und den Sturm als das betrachten könnte, was er war: eine Chance.
Sie zog sich dick an und öffnete die Tür. Einen Moment lang blieb sie an der Schwelle stehen und holte tief Luft, bevor sie in die scheinbar ungastliche Winterwelt hinaustrat. Es war komisch, dass sie nach all der Zeit in den Bergen noch immer diesen Augenblick kannte, sich einem Sturm auszuliefern. Während andere Menschen nicht zögerten, zögerte sie dagegen jedes Mal. Irgendwie kam es ihr widernatürlich vor, sich in ein Unwetter zu begeben – fast so, als würde man freiwillig von einer Klippe springen.
Sie ging an ihren Spind im hinteren Teil des Sanitätsraums und holte ihre Skier. Dann machte sie sich auf den Weg zu Scooters Skilift. Scooter trug die Skibrille über der Mütze und grinste von einem Ohr zum anderen. »Lust auf einen anständigen Sturm?«
»Sicher!«, sagte Jill mit einem breiten Lächeln. »Willkommen übrigens bei uns in der Nachbarschaft!«
»Wie findest du meine Schneelöcher auf eurem Hof?«, fragte er.
»Die sind genial! Lisa hat gemeint, der Zwinger könnte nicht noch hässlicher werden, aber sie hat uns unterschätzt.«
»Das hat sie wahrhaftig«, sagte er. »Wir verleihen dem Begriff ›Schrott‹ eine ganz neue Dimension. Warte nur ab, bis ich im Sommer Couch und Kühlschrank nach draußen gestellt habe.«
»Klasse, dann müssen wir für ein Bier überhaupt nicht mehr aufstehen«, scherzte sie.
»Da hast du recht. Und ich spiele mit dem Gedanken, mir einen großen Rottweiler anzuschaffen und ihn Guinness zu nennen. Wann holst du dir einen Hund und benennst ihn nach einer Biersorte?«
»Keine leichte Entscheidung«, erwiderte sie, als der Sessel hinter ihr auftauchte und sie mitnahm.
Im Sturm fühlte sie sich noch einsamer. Im Resort war es still. Ein Teil von ihr wollte noch immer einfach in die Skihütte und mit allen anderen zusammen heißen Kakao trinken. Durch die Skibrille wirkte es fast so, als würde sie den Sturm aus einem Auto heraus betrachten, statt tatsächlich draußen zu sein. Lisa hatte Jill jedoch für den Tag ihren iPod geliehen, und jetzt schien die Musik der Soundtrack zum Sturm zu sein. Sie gab ihr Energie und weckte in ihr den Wunsch, sich zu bewegen.
Bei diesem Schneetreiben musste sie nicht lange suchen, um eine geeignete Piste zu finden, auf der sie ein paar gute Schwünge fahren konnte. Auf allen Strecken lag der Schnee unglaublich dick. Sie fuhr zum Super Bowl und ließ sich treiben. Lisa und sie nannten diesen Schnee immer »heroisch«, weil man darin einfach nichts falsch machen konnte. Jeder fuhr in diesem Schnee wie ein Held. Der Schnee reichte ihr bis zu den Knien und bremste sie so ein bisschen. Statt enge Schwünge zu fahren, glitt sie in weiten Bögen den Berg hinunter. Sie wehrte sich nicht gegen die Schwerkraft, sie wehrte sich auch nicht mehr gegen den Sturm. Sie wurde ein Teil davon. Die Skistöcke in den Händen breitete sie die Arme aus und gab sich dem Lauf der Dinge hin. Je näher sie dem Boden des Kessels kam, desto tiefer wurde der Schnee. Sie zog die Arme
Weitere Kostenlose Bücher