Eine Freundschaft im Winter
keine Möglichkeit mehr gehabt, miteinander zu sprechen, und er bezweifelte, dass sie es ausgerechnet heute tun würden. Tatsächlich beschlich ihn das Gefühl, dass die alte Freundschaft mit ihr vorüber war. Aber falls er sich irrte, wollte er nicht mit leeren Händen dastehen.
Als er die Auswahl der einfallslosen Karten durchging, blickte er auf und sah Scooter auf sich zukommen.
»Für wen besorgst du denn so was?«, fragte Scooter.
»Für deine Mutter«, erwiderte Tom.
Scooter verdrehte die Augen. »Hör mal, Kumpel, ich habe eine Frage: Darf ich bitte den Wohnwagen meines Onkels ne ben den Zwinger stellen, euren Strom anzapfen und das Bad be nutzen, damit ich meinen Gebrauchtwassertank nicht dauernd leeren muss?«
»Ich wusste gar nicht, wie höflich du bist«, sagte Tom.
»Meine Mom war Lehrerin«, erklärte Scooter und lachte. »Alan, der Aufseher der Liftjungs, ist ein Arsch. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, mein Geheimversteck zu finden – er durchsucht jeden Tag die Unterkünfte der Angestellten, in der Hoffnung, mich vielleicht mit Stoff zu erwischen …«
»Und deshalb, mein Freund, sind wir alle schon vor über zehn Jahren in den Zwinger gezogen«, erwiderte Tom. »Doch bitte, sprich weiter.«
»Also habe ich die Hütte von Codys Grandpa auf dem alten Bergbaugelände gemietet. Weißt du, welche Hütte ich meine?«
»Die berüchtigte Hütte mit dem eingefrorenen Wasserbett, zu der man zweieinhalb Kilometer auf Skiern zurücklegen muss?«
»Genau die. Kein Strom. Kein Kamin. Laura hat mich verlassen, also kann ich nicht einmal bei ihr Unterschlupf finden, um mal eine Nacht im Luxus zu verbringen. Ich habe wirklich versucht, das Wasserbett durch meine Körperwärme aufzutauen, aber es funktioniert nicht. Ich will da raus.«
»Verständlich. Mach mir ein Angebot«, sagte Tom.
»Achtzig Dollar pro Monat. Außerdem helfe ich euch, eine Rennrodelbahn zu bauen. Und ich werde für euch an meinen freien Tagen fürs Lawinentraining Löcher in den Schnee graben.«
Tom nickte. »Dafür, mein Freund, darfst du den Wohnwagen deines Onkels auf unseren Hof stellen, ein Verlängerungskabel in den Zwinger legen und unser Bad benutzen.«
»Super«, sagte Scooter. »Und jetzt zu dir: Für wen suchst du ein Valentinsgeschenk? So viele Frauen gibt es in Sparkle nicht.«
»Ich will nur eine Blankokarte in der Tasche haben, die ich der Frau schenken kann, die ich heute Abend vielleicht in der Bar kennenlerne«, schwindelte Tom.
Scooter stellte seinen Einkaufskorb ab und fing an zu klatschen. »Brillant. Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Wirklich brillant.« Er zog wahllos eine Karte aus dem Ständer, legte sie in seinen Korb und widmete sich wieder seinen Einkäufen.
Tom sah weiter die Karten durch, von denen die meisten so albern waren, dass sie ihm fast körperliche Schmerzen bereiteten. Irgendwann entschied er sich für eine ziemlich schlichte. In einem großen Herz stand: Alles Liebe zum Valentinstag.
Er trug die Einkäufe nach Hause. Durch die tief hängenden Wolken war es schon jetzt dunkel. Sie wirkten so schwer, wie ihm das Herz war.
Zu Hause packte er die Lebensmittel aus. Dann nahm er sich einen Stift und starrte auf die Karte. Er kritzelte auf den Kassenbon, um sicherzugehen, dass der Stift auch funktionierte. Schließlich schrieb er:
Tief in meinem Herzen weiß ich, dass du es bist.
In Liebe
Tom
Er steckte die Karte in den Umschlag, schrieb Lisas Namen dar auf und klebte ihn zu. Danach trug er sie in sein Zimmer und stellte sie auf die Stereoanlage. Er befürchtete jedoch, dass die Karte irgendwann als Drei-Dollar-Brennmaterial enden würde. Er durchsuchte seine Musiksammlung nach einer CD , die zu seiner Stimmung passte, und entschied sich für Reckoning von R. E. M. Dann schaltete er die Lampe auf seinem Nachttisch chen an und das Deckenlicht aus, legte sich aufs Bett und starrte an die Decke. Er fragte sich, ob der Schaden, den er mit seiner unbekümmerten Haltung gegenüber Frauen angerichtet hatte, irreparabel wäre … Und ob Lisa ihn jemals ernst nehmen würde.
Seit Wochen hatte Lisa geplant, Tom herzförmige Kekse mit anzüglichen Botschaften zu backen. Doch nach den zärtlichen Küssen konnte sie es nicht mehr. Sie starrte auf zwei Dutzend Plätzchen, die mit rosa Glasur überzogen waren, und hielt die weiße Zuckerschrift in der Hand. Sie wartete darauf, dass ihr einfiel, was sie schreiben wollte. Aber sie fand keine Worte.
Sie machte eine Pause und blickte aus dem Fenster.
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