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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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den vielen Jahren hätte ich mich betrunken auch nicht mehr im Büro der Pflichtverteidigung zurechtgefunden. Vermutlich auch nicht nüchtern.
    Ich bog, ohne zu blinken, nach rechts in die Diversey Avenue ein und schaute in den Rückspiegel. Gleich darauf folgte mir ein Scheinwerferpaar um die Ecke. Es war kein Honda. Vielleicht jemand anders, der von der Racine Avenue auf die Diversey fuhr, oder vielleicht hatten sie gemerkt, dass mir der Honda aufgefallen war, und das Auto gewechselt. An der Ashland Avenue ließ das zweite Auto ein paar Leute zuerst in die Straße einbiegen, aber vier Straßen weiter, als ich Richtung Süden auf die Damen Avenue fuhr, war es immer noch hinter mir.
    Mr. Contreras schwatzte pausenlos über seine betrunkenen Abenteuer bei Diamond Head, die beweisen sollten, dass man auch sternhagelvoll nicht aus den Latschen kippte. Ich überlegte, ob ich ihm sagen sollte, dass wir verfolgt würden; es hätte ihn von seinen Sorgen abgelenkt und auf einen Kampf vorbereitet, falls es dazu kam. Obwohl meine Freunde mir so sorglos hinterherfuhren, dass sie geradezu zu einer Konfrontation einluden, wollte ich nichts provozieren. Dass ich in den letzten vier Tagen meinen wütenden Impulsen gefolgt war, hatte mir nichts als Ärger eingebracht. Ich wollte meine Probleme nicht verschlimmern, indem ich Gangster stellte, wenn ich körperlich und geistig nicht in Bestform war. Ich ließ Mr. Contreras schwatzen und vergewisserte mich regelmäßig, dass sie nicht vorhatten, uns zu rammen oder auf uns zu schießen. Die Leichenhalle war beklemmend nahe beim Cook County Hospital, gleich gegenüber auf der anderen Seite der Damen Avenue. Ein einfacher Transport von der Chirurgie zur Autopsie. Als ich auf dem Parkplatz vor dem Betonwürfel hielt, der die Toten beherbergte, schaute ich auf die andere Straßenseite und fragte mich, wie es Mrs. Frizell ging. Lag sie immer noch wie eine Leiche im Bett? Öder versuchte sie, so gesund zu werden, dass sie wieder zu Bruce nach Hause konnte?
    Ich schaltete den Motor ab, stieg aber nicht aus, bevor das Auto, das uns verfolgt hatte, auf der Harrison Street weiter Richtung Osten fuhr. In der Dunkelheit ließ sich unmöglich feststellen, was für eine Marke es war: Es hätte jedes kleine und moderne Modell sein können, von einem Toyota bis zu einem Dodge.
    Ein Notarztwagen hielt vor der großen Metalltür mit der Aufschrift EINLIEFERUNG. Sie sah tatsächlich genauso aus wie die Ladeluken, die ich am Freitag bei Diamond Head und den benachbarten Fabriken gesehen hatte. Hier waren es Leichen anstelle von Motoren, aber die Angestellten gingen mit den Lasten genauso lässig um.
    Ich wartete mit Mr. Contreras darauf, dass jemand auf den Summer am Haupteingang drückte und uns einließ. Die Halle war auch tagsüber verschlossen. Ich weiß nicht, ob die Pathologen vor geistesgestörten Hinterbliebenen geschützt werden mussten oder ob das County befürchtete, jemand könne mit Beweisen in einem Mordfall abhauen. Schließlich geruhte ein Wachmann, das Klingeln zu hören und das Schloss aufzusperren.
    Wir gingen zu dem hohen Tresen unmittelbar hinter dem Eingang. Obwohl er uns fünf Minuten lang durch das Panzerglas beobachtet hatte, setzte der diensthabende Angestellte sein Gespräch mit zwei Frauen in Laborkitteln fort, die an einer Tür in seiner Nähe herumlümmelten.
    Ich räusperte mich lautstark. »Ich bin hier, weil ich eine Leiche identifizieren will.« Schließlich schaute der Angestellte uns an. »Name?« »Ich bin V. I. Warshawski. Das ist Salvatore Contreras.«
    »Nicht Ihre Namen«, sagte der Mann ungeduldig. »Den der Person, die Sie identifizieren wollen.«
    Mr. Contreras wollte sagen »Mitch Kruger«, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Der Mann, der heute Morgen aus dem Sanitary Canal gezogen worden ist. Vielleicht wissen wir, wer er ist.«
    Der Angestellte beäugte mich misstrauisch. Schließlich griff er nach dem Telefon, das vor ihm stand, und führte ein leises Gespräch, die Muschel mit der Hand abgedeckt. Als er fertig war, zeigte er auf Vinylstühle, die an der Wand festgekettet waren. »Setzen Sie sich. Gleich kommt jemand.«
    Aus gleich wurden zwanzig Minuten, in denen Mr. Contreras neben mir immer unruhiger wurde. »Was ist denn los, Engelchen? Warum können wir nicht einfach hineingehen und nachschauen? Diese Warterei zehrt an meinen Nerven. Erinnert mich an damals, als Clara im Krankenhaus war und Ruthie bekam, da haben sie mich in einem Raum warten lassen,

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