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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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der wie eine Leichenhalle aussah« - er lachte verlegen -, »tatsächlich, hat genauso ausgesehen. Genau wie hier. Auf gute oder schlechte Nachrichten warten. Da hat man sie geschwängert, und wenn sie es nicht durchsteht, trägt man die Last sein Leben lang mit sich herum.«
    Er schwatzte nervös weiter, bis der Angestellte die Tür wieder aufschloss und zwei Deputies des Sheriffs hereinkamen. Mir krampfte sich der Magen zusammen. Es kann ganz schön unangenehm werden, wenn man mit der Polizei von Chicago zu tun bekommt, aber im Großen und Ganzen sind es professionelle Polizisten. Von den Gesetzeshütern des County sind so viele von der Mafia geschmiert, dass sie nicht die erfreulichsten Begleiter auf der Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit sind. Der Angestellte ruckte mit dem Kopf in unsere Richtung, und die Deputies kamen her. Sie waren beide weiß, jung und hatten die aggressiven, bösartigen Gesichter, die man bekommt, wenn man über zu viel uneingeschränkte Macht verfügt. Ich las ihre Namensschilder: Hendricks und Jaworski. Ich würde mir nie me rken können, wer welcher war.
    »Ihr beide glaubt also, ihr wisst was.« Das war der mit dem Schild »Hendricks«. Sein hässlicher Ton machte die Musik.
    »Wir wissen nicht, ob wir was wissen«, sagte Mr. Contreras entnervt. »Wir wollen nur die Gelegenheit bekommen, uns eine Leiche anzuschauen, statt die ganze Nacht hier herumzusitzen und darauf zu warten, dass jemand die Güte hat, uns zur Kenntnis zu nehmen. Mein alter Kumpel Mitch Kruger, der wird seit einer Woche vermisst, und meine Nachbarin hier hat versucht, ihn für mich zu finden. Als sie den Bericht im Radio gehört hat, hat sie gedacht, vielleicht ist er das.«
    Das war viel mehr, als ich in Anbetracht der Umstände erzählt hätte, aber ich hinderte ihn nicht daran: Ich wollte auf keinen Fall, dass es so aussah, als hätten Mr. Contreras und ich etwas zu verbergen. Ich machte ein feierliches, ernstes Gesicht: nur eine Nachbarin mit gutem Herzen, die den Alten hilft, wenn ihre Kumpel verschwunden sind. Die Deputies starrten uns an, ohne mit der Wimper zu zucken. »Haben Sie ihn als vermisst gemeldet?«
    »Wir haben das neunzehnte Revier benachrichtigt«, sagte ich, ehe Mr. Contreras damit herausplatzen konnte, dass wir keine Vermisstenmeldung gemacht hatten. »Wann haben Sie Ihren Freund zum letzten Mal gesehen?«, fragte Jaworski. »Ich hab's Ihnen doch eben erst gesagt, es ist eine Woche her. Was müssen wir eigentlich durchmachen, bis wir die Leiche sehen dürfen, die Sie hier haben?« Die Gesichter beider Deputies verkniffen sich zu demselben hässlichen Ausdruck. »Versuchen Sie nicht, uns Schwierigkeiten zu machen, alter Mann. Wir stellen die Fragen. Sie beantworten sie. Wenn Sie brav sind, erlauben wir Ihnen, sich die Leiche anzuschauen. Das wird ein echter Genuss für Sie.«
    Die Angestellten der Leichenhalle lehnten sich an die Wände, gespannt darauf, wie der Kampf sich entwickelte. »Mr. Contreras ist siebenundsiebzig«, sagte ich. »Er ist alt, er ist müde, und der Vermisste ist sein letzter Freund aus seiner Gegend. Er will keinen Ärger, er will keinen Ärger machen; er will nur seelisch zur Ruhe kommen. Es würde Ihnen bestimmt nicht gefallen, wenn Ihre Väter oder Großväter in dieser Lage wären.« »Und was geht Sie das an, Kleine?«
    Wieder Hendricks. Solange sie uns die Namenschilder zuwandten, wusste ich, wer gerade sprach. Ich widerstand dem Impuls, ihm mit dem rechten Fuß gegen das Schienbein zu treten.
    »Ich helfe bloß meinem Nachbarn, Süßer. Soll ich Dr. Vishnikov anrufen und seine Erlaubnis einholen, die Leiche zu besichtigen?« Vishnikov war einer der Gerichtsmediziner, den ich aus meiner Zeit bei der Pflichtverteidigung kannte. »Lassen Sie mal die Hosen an. Wir gehen in die Leichenhalle, sobald Sie unsere Fragen beantwortet haben.«
    Die Eingangstür ging wieder auf. Ich schaute an Jaworskis linker Schulter vorbei und entspannte mich leicht. Es war Terry Finchley, ein Kriminalpolizist vom ersten Revier. »Terry«, rief ich.
    Er war zum Tresen gegangen, um mit dem für Einlieferungen zuständigen Mann zu sprechen, drehte sich aber beim Klang meiner Stimme um. »Vic!« Er kam her. »Was machst du denn hier?«
    »Ich versuche, eine Leiche zu identifizieren. Diese Deputies haben heute offenbar in der Nähe von Stickney einen alten Mann aus dem Kanal gezogen. Mein Freund und ich wollen uns vergewissern, dass es niemand ist, den wir kennen. Die Deputies Jaworski und

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