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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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Staubschicht, die nicht zu dem roten Perserläufer auf der Treppe passte.
    Der rote Teppichbelag setzte sich im oberen Flur fort, der zur Verandatür führte. Die Veranda war mit Jalousetten verkleidet, die jetzt offen waren, so dass Max, Michael und Or' auf den See hinausschauen konnten, den das Spiegelbild des Sonnenuntergangs orange und rosa färbte. Michael und Or' saßen in der Ecke und tranken Eistee. Max kam mir entgegen, um mich zu begrüßen, führte mich an der Hand zu einem Stuhl und nötigte mir einen Drink auf. Ich nahm einen Gin Tonic und spürte, wie sich meine Schultern etwas entspannten.
    Wie das übrige Haus war die Veranda makellos sauber und wunderschön möbliert. Die Balkonstühle waren aus dunklem, poliertem Holz mit dicken, geblümten Kissen. Die Beistelltische waren im Gegensatz zu den meisten Balkonmöbeln nicht aus Glas oder Schmiedeeisen, sondern aus demselben Holz mit bunten Fliesenintarsien. Blühende Pflanzen standen in Porzellantöpfen auf den Simsen am Geländer. Eine Gruppe dunkler Redwoods schirmte die Veranda gegen das Haus im Süden ab; die Front des nächsten Hauses lag weiter hinten. Obwohl das Gekreisch von Kindern aus der Nachbarschaft heraufdrang, konnten wir niemanden sehen.
    Lotty kam ein paar Minuten später, und das Gespräch wandte sich der Musik und den Sommerplänen von Or' und Michael zu. Or' dirigierte in Tanglewood, er machte eine Tournee im Fernen Osten. Im Herbst würden sie zu einer Tournee durch Osteuropa wieder zusammenkommen, obwohl sich beide Sorgen wegen der antisemitischen Ausschreitungen in diesem Teil der Welt machten. Lotty schien ihren Ärger wegen Carol beiseitegeschoben zu haben, begrüßte mich mit einem Kuss und beteiligte sich begeistert am Gespräch.
    Um halb acht stand ich auf. Sie wollten in einem Restaurant zu Abend essen, aber für mich war der Tag zu lang gewesen. Ich wollte nur ins Bett.
    Michael stand mit mir auf. »Wir fliegen morgen nach London zurück. Ich bringe dich hinunter, Vic.«
    Ich bedankte mich bei Max für die Gastfreundschaft. »Auf Wiedersehen, Or'. Es war schön, Sie kennenzulernen - und Ihre Musik zu hören.«
    Die Komponistin schwenkte zum Abschied den Arm, als gebe sie einem Orchester ein Zeichen. Sie blieb sitzen. Als Michael die Jalousientür zum Flur hin zumachte, hörte ich, wie sie etwas über das Cellini-Quartett sagte, das Max und Lotty gut kannten. Michael hielt mir die Tür des Trans Am auf. Ich gab ihm durch das offene Fenster die Hand.
    »Komm gut nach London. Ich hoffe, es hat dich nicht gestört, dass du letzte Woche für diese Musikbanausen gespielt hast?«
    Er ließ ein Grinsen aufblitzen. »Ich hätte ihnen am liebsten das Cello über die Köpfe gehauen. Nur der Wert des Instruments hat mich davon abgehalten. Jetzt kann ich in Ruhe darüber die Achseln zucken. Or' und ich spielen ihr Konzert in diesem Winter in der Albert Hall. Dort sollte sie das Echo bekommen, das sie verdient hat. Wir haben eine stattliche Summe für Chicago Settlement zusammengebracht; ich sage mir immer wieder, dass das sowieso unser einziges Motiv war.«
    »Wenn ich gewusst hätte, dass mein Exmann den Saal mit Anwälten und Großindustriellen füllt, hätte ich dich gleich vor dem Publikum warnen können. Wenigstens kann ich dir versprechen, dass er in London bestimmt nicht dabei ist.«
    Er lachte und wartete am Rand der Einfahrt, bis ich auf die Straße zurückgestoßen war. Er sah Max nicht besonders ähnlich, aber er hatte die wunderbaren Manieren seines Vaters geerbt.
    Ich hupte einen kastanienbraunen Honda an, der plötzlich beschlossen hatte, aus einer Einfahrt in die Straße einzubiegen. Ich schaltete das Radio ein und bekam gerade noch mit, wie Ellen Coleman wieder davon sprach, wie schlecht ihr geworden sei, als sie die aufgedunsene Leiche im Sanitary Canal gefunden hatte. Plötzlich fiel mir Mitch Kruger ein. Bei all den Emotionen, die ich in meine Sorge um Harriet Frizell gesteckt hatte, hatte ich gar nicht an den vermissten Maschinenschlosser gedacht.
    Stickney. Das war kilometerweit westlich von Krugers Stammkneipen in der Gegend der Damen Avenue. Ausgeschlossen, dass er das war. Aber der alte Mann konnte betrunken und desorientiert ins Wasser gefallen sein. Ich wusste nicht, ob der Kanal eine Strömung hatte. Wie weit konnte eine Leiche innerhalb einer Woche darin treiben? Ich bog von der Sheridan Road auf den Lake Shore Drive ein. Der Verkehr um mich herum beschleunigte sich schnell auf hundert, über zwanzig mehr als

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