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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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einen Onkel gehabt, der genauso schlimm war wie Roy. »Ich weiß nicht, wer gebrüllt hat, weil das Licht in seinem Rücken war, ich konnte bloß seinen Umriss sehen, aber er hat gebrüllt, er soll sich zum Teufel scheren.«
    Die Tür am anderen Ende ging auf, und der Vorarbeiter kam heraus. »Zeit, wieder an die Arbeit zu gehen, Mädels. Mit wem redet ihr da?«
    »Bloß mit einer jungen Frau.«
    Er schaute mich misstrauisch an.
    »Sie hat gedacht, Sie stellen vielleicht Leute ein, aber wir haben ihr gesagt, es ist ein Glück für uns alle, dass wir unsere Jobs noch haben.« Das war Roys Nichte, die mich beschützte, wie sie Roy beschützen musste, ihre Mutter und vermutlich auch sich selbst. »Sie haben hier nichts zu suchen, Kleine«, sagte der Vorarbeiter zu mir. »Wenn Sie Arbeit suchen, gehen Sie ins Büro. Es steht ganz deutlich dran, und an dieser Tür steht nichts. Also hauen Sie ab!«
    Ich sagte nichts von dem, was ich dachte. Er war der Typ, der es an den anderen Frauen auslassen würde, sobald ich die Tür zumachte. Ich ging schnell den Flur entlang, wollte Dexter oder den anderen nicht über den Weg laufen, wenn sie vom Klo kamen oder aus dem Essensraum, wo auch immer sie um diese Tageszeit stecken mochten. Ich folgte den Anweisungen, die ich von der Frau im Montageraum bekommen hatte, und kam auf die andere Seite des Gebäudes und zu einer weiteren hohen Flügeltür aus Metall. Hinter ihr lag eindeutig ein Maschinenraum: Er war angefüllt mit gigantischen Maschinen. Ich konnte mir nicht vorstellen, welche Funktion sie haben mochten. Auf dem Boden lagen große Stahlkringel, wie die zusammengerollten Holzspäne, die fielen, wenn mein Onkel Bernard Bretter für Regale abhobelte. Vielleicht war das Ungeheuer darüber eine Art Hobel für Metall.
    Gegenüber den Ausmaßen der Maschinen wirkte das Dutzend arbeitender Männer irgendwie verloren. Diejenigen, die an den Maschinen arbeiteten, trugen Schutzbrillen. Als ich in meiner Nähe Funken sprühen sah, trat ich nervös zurück. Ich musste jemanden finden, der mich nicht in Brand steckte oder einen Arm verlor, weil ihn eine Fremde erschreckt hatte. Schließlich entdeckte ich einen Mann, der in der Ecke an einem Zeichentisch saß, und ging zu ihm hinüber. »Ich suche den Vorarbeiter.«
    Er schaute mich kurz an, zeigte dann wortlos auf die entgegengesetzte Ecke. Ich schlängelte mich an den Maschinen vorbei und blieb stehen, um einem Riesenbohrer zuzuschauen, der eine dicke Metallstange bearbeitete. An einer anderen Maschine ließ jemand weitere Metallspäne zu Boden fallen. Die Männer, die an den Maschinen arbeiteten, bemerkten mich nicht.
    Schließlich ging ich zum anderen Ende des Raums, wo ich ein weiteres winziges Büro entdeckte. Ein Mann von etwa fünfzig saß hinter dem Schreibtisch und telefonierte. Die Hemdsärmel waren hochgerollt und entblößten massige Oberarme. Ich würde aufpassen müssen, damit ich ihn nicht so wütend machte, dass er zu einer Stahlstange griff und sie mir auf den Kopf schlug.
    Als er das Gespräch schließlich beendet hatte - das überwiegend aus einer Reihe von Grunzlauten und einer gerade noch verständlichen Absage bestand -, schaute er zu mir auf. Ich zog meine abgedroschene Nummer über Onkel Mitch ab.
    »Haben Sie ihn gekannt, als er hier gearbeitet hat?«
    Der Vorarbeiter schüttelte langsam den Kopf, ohne dass sich in seinen tief liegenden, ziemlich eidechsenähnlichen Augen etwas regte.
    »Ich möchte gern mit einigen von den Arbeitern sprechen. Etliche sehen so alt aus, dass sie vielleicht ein paar Jahre mit ihm zusammengearbeitet haben könnten. Einer muss mit ihm gesprochen haben.« Er schüttelte wieder den Kopf.
    »Sie wissen, dass sie nicht mit ihm gesprochen haben?«
    »Ich weiß, dass Sie hier nichts verloren haben, Kleine. Setzen Sie also Ihren niedlichen Arsch in Bewegung, ehe ich das für Sie besorge.«
    Mein Blick schweifte von seinen tief liegenden Eidechsenaugen auf seine massigen Oberarme, und ich ging mit so viel Anmut, wie ich aufbringen konnte.

19
    Der verlorene Sohn
    Ich saß in Lottys Auto, trommelte mit den Fingern auf das heiße Lenkrad und versuchte, mir schlüssig zu werden, was ich als Nächstes tun sollte. Ich hatte das Gefühl, in den letzten Tagen hätte mich jeder in Chicago schikaniert, von Todd Pichea über die Deputies des Sheriffs bis zum Personal von Diamond Head. Es war Zeit, zurückzuschlagen oder wenigstens zu beweisen, dass ich mich nicht einfach in meinen verschwitzten Kleidern

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