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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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überlagerte den nach abgestandenem Fett und Kohl. Jemand machte sich ein spätes Mittagessen oder ein äußerst spätes Frühstück. Mein Magen knurrte mitfühlend. Ich fragte mich, ob ich bei Tessie ein Käsesandwich bekommen konnte, wenn ich hier fertig war.
    Als ich nach oben kam, hatten sich meine Augen so an das trübe Licht gewöhnt, dass ich auf Anhieb Mitchs Zimmer fand. Mrs. Polter und der Sohn hatten nicht viel übrig gelassen. Jedenfalls nicht Krugers Gewerkschaftsausweis und die Rentenpapiere -nicht einmal die Zeitungsausschnitte. Ich hatte seinen Kleidern nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt, deshalb wusste ich nicht, ob Mrs. Polter schon etwas abgestaubt hatte, aber der tragbare Schwarzweißfernseher war fort. Wenn ich herumgeschlichen wäre, hätte ich ihn vermutlich in Mrs. Polters Zimmer entdeckt. Die Versuchung war stark, aber ich hatte kein großes Verlangen, sie deshalb zur Rede zu stellen.
    Als ich wieder hinunterging, dachte ich düster an mein eigenes Alter, falls ich so lange lebte. Ob es so sein würde, in einer baufälligen Pension, mit nichts als einem alten Fernseher und ein paar fadenscheinigen Jeans, die eine Vermieterin bar jeder Trauer durchwühlte? Nicht einmal Mr. Contreras würde noch da sein und um mich trauern. Als meine Fantasien eben den Gipfel trüber Einsamkeit erreichten, verfing sich mein Fuß an einem losen Stück Linoleum, und ich kam auf allen vieren unten an. Ich fluchte und wedelte den Staub weg - nichts verletzt außer meinem Stolz. Wenn ich tagträumend herumlief, statt einen klaren Kopf zu behalten, würde Mr. Contreras mich doch noch überleben und um mich trauern.
    »Sind Sie da drin hingefallen?«, fragte Mrs. Polter, als ich wieder auf die Veranda kam. »Mir war, als hätt ich einen Schlag gehört.«
    »Aber Sie haben es nicht für nötig gehalten, mal nachzusehen. Sie sollten das Linoleum verkleben lassen. War nicht ganz einfach für Sie, die Leichen Ihrer Mieter wegzuschleppen, wenn die stolpern und abkratzen ... Wann ist Mitch Kruger gestorben?« Sie hob voluminöse Schultern. »Kann ich Ihnen nicht sagen, Schätzchen. Aber sein Sohn war heute Morgen schon ganz früh hier. Ehrlich gesagt, ich war noch nicht mal aufgestanden. Er hat mich noch mit den Lockenwicklern angetroffen.« Das musste ein unvergesslicher Anblick gewesen sein. »Wie hat er ausgesehen, dieser Sohn?«
    Sie zuckte wieder mit den Achseln. »Ich hab kein Bild von ihm gemacht. Ein junger Kerl, vielleicht in Ihrem Alter, vielleicht ein bisschen älter.«
    »Hat er eine Telefonnummer hinterlassen, für den Fall, dass Sie ihn erreichen müssen?« »Ich muss ihn nicht erreichen, Schätzchen. Ich habe ihm dasselbe gesagt wie Ihnen: Nehmen Sie mit, was Sie wollen, solange das Zimmer noch bezahlt ist, denn Ende der Woche gebe ich den Rest der Wohlfahrt.«
    Mir war unbehaglich dabei, das Zimmer aufzugeben, Mitchs letzte Verbindung zum Leben aufzugeben. Ich dachte daran, weitere fünfzig zu blechen, damit das Zimmer noch eine Woche lang erhalten blieb. Andererseits, was hätte ich darin schon finden können? Als ich über die Straße zu Tessie ging, war mir immer noch unbehaglich zumute. Sie erinnerte sich sofort an mich, sogar daran, was ich getrunken hatte. »Heute sehen Sie ja ganz erhitzt aus, Schätzchen. Wollen Sie wieder ein Bier vom Fass?« Ich glitt auf den Hocker. Das dünne Gebräu tat meiner wunden Kehle gut. Tessies Bar hatte keine Klimaanlage, aber sie war dem grellen Sonnenschein entzogen. Ein Ventilator, der sich auf der anderen Seite des Tresens drehte, trocknete meinen Schweiß, verhalf mir zu der Illusion von Kühle. »Ich hatte keine Zeit zum Mittagessen. Gibt es bei Ihnen Sandwiches oder so?« Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich kann Ihnen nur eine Tüte Chips oder Brezeln anbieten.«
    Ich aß die Brezeln zum zweiten Bier. Wir hatten die Bar für uns. Sie schaute sich in einem kleinen Schwarzweißfernseher unter den Whiskyflaschen Donahue an. Der Apparat war zu sauber, als dass es der von Mitch hätte gewesen sein können.
    In einer Werbepause machte Tessie den Mund auf, ohne mich anzusehen. »Ich hab gehört, der alte Mann, hinter dem Sie letzte Woche her waren, ist ertrunken im Kanal aufgefunden worden. Nach dem, was ich gehört hab, ist seine Leiche gestern rausgezogen worden. Ihr Onkel, haben Sie gesagt?«
    Ich stieß einen unverbindlichen Ächzlaut aus.
    »Lily Polter hat gesagt, Sie sind Detektivin. Was war er denn nun, ein Onkel oder ein Schiffer?«
    »Keins von beiden.

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