Eine für alle
Offenbar siegte mein Mann, denn er rieb sich triumphierend die Hände, als er den Hörer aufgelegt hatte. Erst da bemerkte er mich. »Ich suche das Personalbüro«, sagte ich.
»Weshalb?« Sein Sieg über den Kupferlieferanten machte ihn aufsässig. »Es geht um finanzielle Unterstützung für meinen Vater, der vor sieben Wochen entlassen worden ist. Er musste ins Krankenhaus.« Das wirkte angesichts der leeren Bänke im Montageraum plausibel.
Er schien nicht bereit, irgendetwas preiszugeben, wies mich aber schließlich drei Türen weiter. Mein Glück hielt nicht an, als ich die richtige Tür gefunden hatte. Der Mann in dem winzigen Büro hatte zu der Gruppe gehört, die mein würdeloses Betreten der Fabrik vor vier Tagen mit angesehen hatte. Erst erkannte er mich nicht, aber als ich Mitch Krugers Namen erwähnte, fiel ihm die Episode vom Freitag wieder ein. Er runzelte heftig die Stirn und griff zum Telefon.
»Milt? Hier ist Dexter. Hast du gewusst, dass diese Detektivin wieder da ist? Die letzte Woche hier war? Du hast es nicht gewusst? Sie ist eben hier bei mir.« Er knallte den Hörer auf und verschränkte die Arme. »Sie lernen es einfach nicht, stimmt's, Kleine?«
»Lerne was nicht, alter Fettsack?« Ich sah einen Klappstuhl neben dem Aktenschrank und klappte ihn auf, um mich zu setzen.
»Sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern.«
»Genau das tue ich hier. Beantworten Sie mir ein paar einfache Fragen über Mitch Kruger, und Sie sind mich los.«
Er sagte gar nichts. Offenbar warteten wir auf Milt Chamfers. Gleich darauf kam der Fabrikleiter, mit korrekt gebundener Krawatte und im Jackett. Das würde eine förmliche Besprechung werden, und ich trug Socken anstelle von Strumpfhosen. »Was haben Sie hier verloren?«, wollte Chamfers wissen. »Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich nie wieder blicken lassen.«
»Ich will dasselbe wie letzte Woche - herausfinden, wer Mitch Kruger gesehen hat und wann und wo, die ganzen Fragen mit W, die sie einem in Schulen für Journalisten und Detektive beibringen.«
»Ich weiß nicht, wer dieser Kruger war, von wann und wo ganz zu schweigen«, äffte mich Chamfers in einem falschen Falsett nach.
»Dann werde ich wohl mit allen hier in der Fabrik sprechen müssen, bis ich rauskriege, wer was weiß, nicht wahr.« »Nein, das werden Sie nicht«, fuhr er mich an und verkrampfte die Lippen. »Das ist Privatbesitz, und ich kann Sie rauswerfen lassen, wenn Sie nicht sofort gehen.«
Ich lehnte mich im Klappstuhl zurück und lächelte. »Herzchen, das ist jetzt eine Morduntersuchung. Ich kann Ihnen die Cops auf den Hals hetzen, und dann können Sie denen erklären, warum Mitch Krugers Name Sie so auf die Palme bringt.« »Ich lasse niemanden in meiner Fabrik herumschnüffeln unter dem Vorwand, nach Vermissten zu suchen, wenn es in Wahrheit um Industriespionage geht. Wenn die Cops über einen alten Mann, der vor zwanzig Jahren hier gearbeitet hat, mit mir reden wollen, spreche ich mit denen. Aber nicht mit Ihnen.«
»Dann muss ich es eben anders versuchen. Für so einen großen Verwaltungsapparat haben Sie hier ganz schön wenig Arbeiter, nicht wahr?«
Chamfers und der Mann von der Personalabteilung wechselten einen Blick - wachsam, misstrauisch -, ich konnte es nicht recht deuten. Dann sagte Chamfers: »Und Sie wollen mir einreden, dass Sie uns nicht für irgendjemanden ausspionieren. Für wen arbeiten Sie denn tatsächlich, Sie kleine Schnüfflerin?«
Ich stand auf und schaute ihn ernst an. »Für Lockheed, Herzchen, aber behalten Sie es für sich.«
Chamfers blieb wieder an meiner Seite, während wir den langen Weg zur Vorderseite zurücklegten. Ehe wir uns trennten, sagte ich: »Soll ich dem Kerl, der mich beschattet, sagen, wo ich mein Auto gelassen habe?«
Seine Miene wurde einen Augenblick lang noch finsterer. Er war überrascht. Über die Nachricht, dass mir mein Verfolger aufgefallen war? Oder über die Nachricht, dass ich einen Verfolger hatte? Beim Grübeln über dieses kleine Rätsel vergaß ich, zum Abschied zu winken.
Ich ging zur Straße hinunter, wo das hohe Gras ihm das Blickfeld versperrte. Dort ging ich in die Hocke und wartete. Es war erst kurz vor zwölf. Vielleicht hatte Chamfers ein Sandwich mitgebracht, aber ich hätte darauf gewettet, dass er zu einem der italienischen Restaurants vier Straßen weiter wollte. Außerdem schrieb ich ihm das neue Modell von Nissan zu.
Das Gras versteckte mich von der Straße aus, aber es schützte mich
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