Eine für alle
ich ihr. Weil ich noch nie hier gewesen war, wusste ich nicht, wo Freemans Büro liegen mochte. Ich schlug auf gut Glück den Flur zur Rechten ein und ging durch den knöcheltiefen Teppich, schaute in Büros und Konferenzzimmer. Ich begegnete jeder Menge von dienstbaren Geistern, bepackt mit Akten und Computerausdrucken, aber niemand wusste etwas über Freeman Carter. Crawford, Mead hatte vier Stockwerke des Gebäudes gemietet. Das Treppenhaus war wie der Rest der Kanzlei aufwändig mit Holz und Plüsch verkleidet. Mir kam das hirnrissig vor - man mietet Räume in einem supermodernen Glasturm und überzieht sie dann mit Holz und Samt, damit sie aussehen wie ein viktorianisches Gerichtsgebäude. Als ich in den zweiten Stock kam, fand ich schließlich eine Assistentin, die mir den Weg zu Freemans Büro wies. Das allgemeine Verbot, Mandanten Informationen zu geben, war offenbar nur an die Fronttruppen ergangen. Ich folgte der Wegbeschreibung mit nur wenigen Fehltritten und fand schließlich Catherine Gen-try, die gerade Akten in Umzugskartons packte.
»Vic!« Sie ließ fallen, was sie gerade hielt, und wischte sich die Hände an den Jeans ab. Ich hatte sie noch nie ohne die strenge, maßgeschneiderte Kleidung gesehen oder gar mit Haaren, die ihr in Strähnen ins Gesicht fielen. Auf der Straße hätte ich sie nicht erkannt. »Catherine! Was ist denn hier los? Die tun ja, als wäre Freeman mit einer Pensionskasse der Kanzlei durchgebrannt.«
»Sie benehmen sich so mies, wie ich sie immer eingeschätzt habe. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich ich darüber bin, dass wir aus diesem Kakerlakenloch herauskommen. Es macht mir nicht mal viel aus, dass ich die ganze Packerei allein erledigen muss. Standen Sie auf Freemans Terminkalender? Ich hab gedacht, ich hätte alle erreicht.« Catherine war in Jackson, Mississippi, aufgewachsen und hatte sich nie die Mühe gemacht, ihren Akzent aufzugeben.
»Nein. Ich habe heute Morgen versucht anzurufen und bin nicht durchgekommen, deshalb bin ich vorbeigekommen. Brauchen Sie Hilfe?«
Sie grinste. »Und ob, Schätzchen, aber das sind alles vertrauliche Akten. Darum muss ich mich selbst kümmern. Was können wir für Sie tun? Freeman verbringt den Tag zu Hause, aber falls Ihnen eine Festnahme droht oder so, paukt er Sie mit Freuden heraus.« »Nichts derart Interessantes. Ich wollte bloß was bei Lexus nachschlagen; aber das kann warten, bis Sie in Ihrem neuen Büro sind.« Ich konnte auch nach Springfield fahren und die Daten von Hand nachschlagen. Nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber vielleicht besser, als das Problem noch ein paar Wochen ruhen zu lassen.
Catherine ächzte. »Schreiben Sie mir doch auf, was Sie brauchen. Ein paar Freundinnen habe ich in diesem Rattenloch noch.«
Ich schrieb die Adresse von Diamond Head und den Geschäftszweig auf. »Ich brauche bloß die Inhaber und die Vorstandsmitglieder, keine Finanzberichte, jedenfalls nicht im Augenblick. Wo richten Sie denn die neue Kanzlei ein?«
»Oh, Freeman hat ein ganz reizendes kleines Büro in der South Clark Street für uns gefunden. Neunzig Quadratmeter. Wir brauchen bloß die Schreibtische hinzuschaffen und die Maschinen einzustöpseln. Erst nehmen wir noch eine Woche frei, und ich kann's kaum erwarten, dort anzufangen.«
»Was macht Leah Caudwell denn jetzt?«, fragte ich und gab ihr den Zettel. Sie machte ein unglückliches Gesicht. »Vor etwa achtzehn Monaten ging es damit los, dass wir so viel Arbeit bekamen - ich will damit nicht sagen, dass sie das nicht bewältigen konnte -, aber es war nicht mehr wie früher, als sie alle Mandanten persönlich kannte, von ihnen was zu Weihnachten bekam und so. Etliche von den neuen Leuten, die herkamen, waren richtig unhöflich zu ihr. Als wir umgezogen sind, hat es also geheißen, sie kommt nicht mit. Sie hat mir ehrlich leidgetan, aber was konnte ich schon machen? ... Sie müssen mich entschuldigen, Vic - in drei Stunden kommen die Möbelpacker, und ich muss das ganze Zeug einpacken. Hier ist unsere neue Adresse - Sie kommen doch bestimmt mal vorbei.«
Sie gab mir eine Visitenkarte, auf der Freemans Name sauber eingeprägt war. Er hatte mit der Kündigung gewartet, bis sein neues Büro fertig war - auf der Karte standen eine Telefon- und eine Faxnummer. Ich würde kapitulieren und mir auch ein Fax anschaffen müssen - es war schwierig, ohne Fax Geschäfte zu machen, jedenfalls in meiner Branche. Selbst mein Lieblings-Deli im Loop nahm keine telefonischen
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