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Eine für alle

Eine für alle

Titel: Eine für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sara Paretsky
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den Gedanken nicht ertragen, dass Lotty aus Angst alterte, noch dazu aus einer Angst, zu der ich beigetragen hatte.
    Ich schwieg so lange, bis sie scharf nachforschte. »Da ist etwas, nicht wahr?«
    »Ich weiß es nicht genau. Es kam mir unerheblich vor, aber ich rufe Detective Finchley an und sage es ihm, ehe ich gehe.«
    »Tu das, Vic«, sagte sie mit versagender Stimme. »Tu so, als ob ich dir wichtig wäre, als ob ich nicht nur eine Figur in deinem Spielplan wäre, der nicht so aufgegangen ist, wie du gehofft hast.«
    »Lotty! Das ist nicht fair -«, fing ich an, aber sie legte auf, ehe ich sie weinen hören konnte.
    Fehlte es mir wirklich an Gefühl? Ich liebte Lotty. Mehr als jeden lebenden Menschen, der mir einfiel. Behandelte ich sie wie eine Schachfigur? Ich hatte keinen Spielplan; das war ein Teil meines Problems. Ich trieb von Aktion zu Aktion, wusste nicht, in welche Richtung. Trotzdem überkam mich wieder der Abscheu vor mir selbst, den ich gestern Nacht nach dem Einbruch in Carvers Büro empfunden hatte. Vor Selbstekel krampfte sich mir der Magen zusammen.
    Ich spürte plötzlich den überwältigenden Drang, wieder ins Bett zu gehen. Meine Lider waren so bleiern, dass ich kaum die Augen aufbrachte. Ich lehnte mich in der Couch zurück und ließ die Woge der Depression über mich hinweggehen. Nach einer Weile, als ich mich nicht besser fühlte, aber wusste, dass ich in die Gänge kommen musste, rief ich auf dem ersten Revier an, um mit Finchley zu sprechen. Er war nicht da; ich hinterließ meinen Namen und meine Telefonnummer und bat ihn, mich heute Abend anzurufen. Wenigstens legte niemand mitten im Satz auf. Das war gegenüber den ersten beiden Gesprächen eine eindeutige Verbesserung.
    Ich ging müde die Treppe hinunter. Bevor ich auf die Straße trat, klopfte ich an Mr. Contreras' Tür. Es war typisch für meine aufgelöste Verfassung, dass ich sogar eine Tasse seines zu lange gekochten Kaffees annahm, ehe ich aufbrach. An diesem Nachmittag hatte der alte Mann genug Spannkraft für zwei, vielleicht sogar für vier. Er hatte den Morgen damit verbracht, unsere Anzeige zu formulieren und in Arizona herumzutelefonieren, um die Namen und Anzeigensätze der größten Tageszeitungen zu erfahren; er war erpicht darauf, mir zu zeigen, was er geleistet hatte. Ich versuchte, in angemessene Begeisterung auszubrechen, aber schon bald fiel ihm auf, dass meine Laune nicht der seinigen entsprach.
    »Was hat Sie denn gebissen, Engelchen? Schwere Nacht?«
    Ich lachte befangen auf. »Ach, ich hab einfach das Gefühl, ich habe Lotty in eine schlimme Lage gebracht und nichts getan, um ihr zu helfen.«
    Mr. Contreras tätschelte mir mit einer schwieligen Handfläche das Knie. »Ihre Art, Leuten zu helfen, ist nicht so wie die der meisten Leute, Vic. Bloß weil Sie nicht mit Blumen und einem Eimer Suppe herumrennen, heißt das noch lange nicht, dass Sie ihr nicht helfen.«
    »Schon, aber sie hat das Gefühl, ich sollte mit der Polizei kooperieren, und sie hat recht«, murmelte ich.
    »Ja, mit denen kooperieren«, höhnte der alte Mann. »Neunzig Prozent der Zeit hören die Ihnen doch nicht mal zu. Ich war dabei, als Sie mit diesem schwarzen Kriminalpolizisten gesprochen haben, wie heißt er noch mal, Finchley, und ich hab gesehen, wie er Ihnen zugehört hat. Was die Cops anlangt, hat sich Mitch den Kopf angeschlagen und ist in den Kanal gefallen. Mitch, der an diesem Ufer jeden Zentimeter gekannt hat! Es ist denen doch völlig egal, wer Sie eine ganze Woche lang verfolgt hat, bevor diese Lumpen Ihr Auto gerammt und die Frau Doktor zusammengeschlagen haben. Ich sehe keine Ursache, warum Sie herumlaufen und sich selbst die Schuld geben sollten, keinen Augenblick lang, Engelchen. Reißen Sie sich einfach zusammen und tun Sie die Arbeit, für die Gott Sie geschaffen hat.«
    Er klopfte mir des Nachdrucks halber noch mal aufs Knie. Ich tätschelte ihm die Hand und bedankte mich für die aufmunternden Reden. Seltsamerweise fühlte ich mich tatsächlich besser. Ich kritzelte ein paar Änderungen in den Anzeigenentwurf, ließ aber das Wesentliche unverändert. Ich war der Meinung meines Nachbarn, wir sollten Mitch junior darum bitten, dass er sich mit ihm, nicht mit mir in Verbindung setzte, für den Fall, dass er mit dem Tod seines Vaters etwas zu tun hatte - falls ja, hätte er von irgendjemandem bei Diamond Head meinen Namen gehört haben können. »Wollen Sie noch etwas tun?«, fragte ich, als ich aufstand. »Sprechen Sie mit

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