Eine geheimnisvolle Lady
abgeben. »Ich halte mich in London auf, um … Erfahrungen zu sammeln.«
»Wie aufschlussreich. Zähle ich neuerdings zu den Sehenswürdigkeiten der Hauptstadt? Eine menschliche Version des Tower of London?«
Obwohl er in gleichgültigem Ton sprach, spürte sie seinen Sarkasmus. Die Erkenntnis seines Stolzes verwirrte Diana, er passte nicht zu seinem dekadenten, verschwenderischen Appetit.
Noch immer verspürte sie keine Furcht. Sondern irgendetwas anderes. Vielleicht die Ahnung, dass sie einen Tiger reizte?
Von seiner Reaktion verstört, gab sie ihm keine direkte Antwort. »Warum soll ich um den heißen Brei herumreden, Mylord? Ich wünsche mir einen Liebhaber. Und meine Wahl ist auf Sie gefallen.«
Sein leises Gelächter jagte einen Schauer über ihre Haut. »Warum? Haben wir uns schon einmal getroffen? Irgendwann, irgendwo?«
»Nein.«
»Dann lautet meine Frage immer noch – warum ich?«
»Nun, ich … ich habe Sie gesehen.« Erbost verfluchte sie ihr verräterisches Gestammel.
Letzte Woche, kurz nach ihrer Ankunft in London, hatte sie ihn in einem erschreckend fragilen Phaeton die Bond Street hinabfahren sehen. Dabei sah sie einen eleganten Aristokraten, der seinen Vollblütern absolute Disziplin abverlangte – eine Disziplin, die einen sonderbaren Kontrast zu seiner zügellosen Lebensweise bildete. Ein stilvoll schräg in die Stirn gezogener Hut überschattete sein Gesicht. Trotzdem registrierte sie ein energisches Kinn und einen ausdrucksvollen Mund. Was Lebemänner anging, besaß sie keine Erfahrung. Aber sie hatte sich einen weniger attraktiven Gentleman vorgestellt, dessen Züge seine mangelnde Moral verraten müssten.
»Und mein flüchtiger Anblick hat brennende Leidenschaft in Ihnen entfacht?« Sein Zynismus war verständlich.
»Nein.« Vor ihrem Besuch im Haus des Earls hatte sie beschlossen, möglichst bei der Wahrheit zu bleiben. Sie bezweifelte ohnehin, dass sie schmachtende Liebe heucheln könnte. Und wenn sie von Liebe sprach, würde sie ihr Opfer sofort in die Flucht schlagen. Ihre Kehle verengte sich, und sie schluckte. »Sogar auf dem Land sind Ihre Liebeskünste legendär, Mylord.«
Noch ein leises Lachen, noch ein Prickeln auf Dianas Rückgrat. »Wie … schmeichelhaft.«
Genau genommen hatte sie das Gegenteil gemeint. Zum Teufel mit ihm! Warum fiel er nicht einfach über sie her und erfüllte ihren Wunsch? Dieses Frage-und-Antwort-Spiel war eine Tortur. Irritiert zwang sie sich weiterzusprechen. »Ein Mann soll mir die Freuden der Fleischeslust zeigen, aber keine Ansprüche an mich stellen. Selbstverständlich erwarte ich absolute Diskretion.«
Eigenartigerweise genoss dieser Wüstling den Ruf, niemals mit seinen Eroberungen zu prahlen. Die meisten Klatschgeschichten stammten von Frauen, die sein Bett geteilt hatten oder einige seiner Geliebten kannten.
»Würde Ihnen eine Begegnung genügen, Madam?«
Nur eine? Guter Gott, nein! Eine solche Demütigung würde sie nicht ertragen. Sie konnte ihre Ehre nicht für nur eine einzige Chance auf den Gewinn opfern. »Nun, ich dachte an den Sommer, bis die Gesellschaft in die Stadt zurückkehrt und das Risiko eines Skandals zu groß wird.«
»Also eine schäbige kleine Affäre, damit ein paar ereignislose Wochen schneller verstreichen?«
»Ich verstehe nicht, Mylord.« Obwohl er ihr Gesicht nicht sah, runzelte sie die Stirn. Ihre Instinkte warnten sie. Im Gegensatz zu allem, was sie gehört hatte, war dies kein simples Geschäft mit einem animalischen Lüstling. »Sie wirken beinahe … feindselig.«
»In der Tat?« Jetzt nahm seine Stimme einen scharfen Klang an. »Keine Ahnung, warum. Eigentlich sollte sich ein Deckhengst freuen, wenn seine Dienste gefragt sind.«
Ehe sie sich beherrschen konnte, entfuhr ihr ein Schreckenslaut. Würde er erraten, wie nahe er der Wahrheit kam?
Glücklicherweise missverstand er ihre Reaktion. »Verzeihen Sie, wenn ich Sie mit meiner unverblümten Wortwahl beleidigt habe.«
Diana ordnete ihre wirren Gedanken. Mit jeder Minute in Lord Ashcrofts Gesellschaft erschien es ihr unwahrscheinlicher, dass sie ihr Ziel ungehindert erreichen würde.
Natürlich hatte sie sich gefragt, wie sie einen Mann bezirzen könnte, den die problemlose Verfügbarkeit so vieler Frauen langweilte. Um seine Neugier und sein Interesse zu wecken, trug sie einen Hutschleier. Gewiss würde ein Mann, der üblichen Amüsements müde, ein Mysterium reizvoll finden. Ein Geheimnis, verbunden mit rückhaltloser Bereitschaft. Deshalb
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