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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Gewürze» an eine metaphorische Vollkommenheit, die zugleich unvorstellbar fern und unendlich erstrebenswert war. Es überrascht deshalb wohl nicht wirklich, dass Gewürze über Jahrhunderte hinweg nicht nur hohe Dichtung, sondern auch ein großes Geschäft waren. Der Gewürzhandel zwischen dem Fernen Osten und Europa begründete das portugiesische und das niederländische Imperium und sorgte für zahlreiche blutige Kriege. Bereits Anfang des 5. Jahrhunderts umspannte dieser Handel das gesamte Imperium Romanum. Als die Westgoten die Stadt Rom 408 überfielen, ließen sie sich nur durch Zahlung einer beträchtlichen Summe zum Abzug bewegen; zu diesem «Lösegeld» gehörten Gold, Silber, große Mengen an Seide und ein weiterer Luxusartikel: eine Tonne Pfeffer. Dieses wertvolle Gewürz zog seine lukrative Spur durch das gesamte Römische Reich, von Indien bis East Anglia, wo dieses Objekt gefunden wurde.
    Was für uns Suffolk ist, dürften die Römer als Fernen Westen betrachtet haben. Um das Jahr 400 mündeten Jahrhunderte eines beispiellosen Friedens und Prosperierens in Britannien ins Chaos. Überall in Westeuropa zerfiel das Römische Reich in eine Reihe «gescheiterter Staaten», und in der Provinz Britannia zog sich die römische Führung schrittweise zurück. In Augenblicken wie diesen ist es heikel, wenn man reich ist. Es gab keine organisierten Truppen mehr,welche die Reichen oder deren Besitz beschützt hätten, und als die Begüterten flohen, ließen sie einige der wundervollsten Schätze zurück, die je gefunden wurden. Unser Objekt gehört zu einer sagenhaften Sammlung von Gold und Silber, die um 410 auf einem Acker bei Hoxne in Suffolk vergraben und fast 1600 Jahre später, nämlich 1992, entdeckt wurde.
    Es sieht aus wie eine kleine Statue der oberen Hälfte einer römischen Matrone, die erlesene Kleidung und lange, hängende Ohrringe trägt. Ihr Haar ist auf höchst kunstvolle Weise gedreht und geflochten: Es handelt sich offenbar um eine gesetzte
grande dame
, die sehr auf ihr Äußeres bedacht ist. Das Objekt ist ungefähr zehn Zentimeter groß, hat also in etwa die Größe eines Pfefferstreuers. Und genau um das handelt es sich: einen silbernen Pfefferstreuer. An der Unterseite findet sich ein ausgeklügelter Mechanismus, mit dem man festlegen kann, wie viel Pfeffer herauskommt. Wenn man an dem Griff dreht, kann man den Streuer völlig verschließen, vollständig öffnen oder auf eine Art Rieselmodus einstellen. Dieser Pfefferstreuer muss eindeutig sehr wohlhabenden Leuten gehört haben und war wohl auch zur Unterhaltung gedacht. Denn das Gesicht besteht zwar aus Silber, aber Augen und Lippen sind mit Gold überzogen, so dass sie bei Kerzenschein so aussahen, als würden sie sich bewegen. Die Pfeffer streuende Dame dürfte auf Banketten in Suffolk für Gesprächsstoff gesorgt haben.
    Britannien wurde im Jahr 43 n. Chr. Teil des Römischen Reiches, war zu der Zeit, aus der unser Pfefferstreuer stammt, also schon seit mehr als 300 Jahren römische Provinz. Eingeborene und Römer hatten sich vermischt und untereinander geheiratet, und man machte das Gleiche, was auch die Römer machten. Roberta Tomber, Expertin für den Handel zur Zeit des Römischen Reiches, erklärt, was das genau bedeutete:
    «Als die Römer nach Britannien kamen, brachten sie eine Menge an materieller Kultur und Gewohnheiten mit, mit denen sich die Einheimischen wie Römer fühlen konnten; sie identifizierten sich mit der römischen Kultur. Zu diesem ‹Paket› in Sachen
romanitas
gehörte der Wein ebenso wie das Olivenöl, und ein noch wertvollerer Bestandteil dürfte der Pfeffer gewesen sein.»
    Besonders lag den Römern das Essen am Herzen. Sklavenköche sollten in den Küchen zum Einsatz kommen, um dort besondere Delikatessen zuzubereiten. Ein Spitzenmenü konnte bestehen aus: Siebenschläfer, beträufelt mit Honig undMohnsamen, dann ein ganzes Wildschwein, an dessen Zitzen Ferkel aus Kuchenteig saugten, in denen sich lebendige Drosseln befanden, und abschließend Quitten, Äpfel und Schweinefleisch, präsentiert als Huhn und Fisch. Keine dieser üppigen kulinarischen Erfindungen hätte ohne vielfältige Würzmittel kreiert werden können. Und das wichtigste Gewürz dürfte der Pfeffer gewesen sein.
    Warum hat gerade dieses Gewürz für uns bis heute nichts an Attraktivität verloren? Ich fragte die Publizistin Christine McFadden, warum eine Prise Pfeffer in einem Rezept so wichtig ist:
    «Die Menschen konnten einfach nicht

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