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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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war. Für Porträtdarstellungen oder bildliche Kunst war in den offiziellen Dokumenten dieses Staates kein Platz. Mit der Tradition, die Münzen mit einem Bildnis des Regenten zu versehen, die seit den Tagen Alexanders des Großen rund ein Jahrtausend zuvor im gesamten Nahen und Mittleren Osten gang und gäbe war, wurde bewusst gebrochen, und die reine Text-Münze blieb bis zum Ersten Weltkrieg in allen islamischen Staaten die Norm. Das Arabische, die Sprache Gottes, wurde, als Inschrift auf den Münzen, zu einem grundlegenden Mittel der Integration und des Überlebens für den ersten islamischen Staat.
    Abd al-Malik, Nachfolger des Gesandten Allahs, Stellvertreter Gottes, Neunter Kalif und Beherrscher der Gläubigen, starb im Jahr 705. Doch die auf seinen Münzen verkündete Botschaft von einem universellen Reich des Glaubens klingt noch immer eindringlich nach.
    Heute gibt es keinen Kalifen mehr. Lange Zeit beanspruchten die türkischen Sultane diesen Titel für sich, doch das Amt selbst wurde 1924 abgeschafft. Ein allgemein anerkannter Kalif war historisch gesehen eine Seltenheit, doch der Traum von einem einzigen, geeinten islamischen Reich – einem Kalifat – bleibt auch in der modernen islamischen Welt lebendig. Ich bat die Sozialanthropologin Madawi al-Rasheed um einen Kommentar:
    «Heute streben Muslime, oder zumindest bestimmte Teile der muslimischen Gemeinschaft weltweit, nach diesem Ideal des Kalifats als der Verkörperung der muslimischen Gemeinschaft. Das hat mit der Ausbreitung des Internets zu tun, mit neuen Kommunikationstechnologien, die es Muslimen unterschiedlicherHerkunft ermöglichen, sich eine Art Beziehung zu anderen Muslimen vorzustellen, ungeachtet von Kultur, Sprache oder ethnischer Zugehörigkeit. Dieses Phänomen findet sich beispielsweise bei Muslimen der zweiten Generation in Großbritannien, also denen, die den kulturellen Hintergrund ihrer Eltern verloren und Verbindungen zu anderen Muslimen ihres Alters geknüpft haben, die oft aus ganz anderen Teilen der muslimischen Welt kommen. Das zielt auf eine globalisierte Identität, eine Identität, bei der Bindungen auf dem Glauben basieren, weniger auf ethnischer Zugehörigkeit oder gar Nationalität.»
    Das Streben nach einer islamischen Gemeinschaft, die einzig und allein vom Wort Gottes beseelt ist und gelenkt wird – dieser Traum, der in physischer Form erstmals auf der vor 1300 Jahren in Damaskus geprägten Münze eindeutig artikuliert wurde, ist auch heute noch höchst lebendig.



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Der Helm von Sutton Hoo
    Angelsächsischer Helm, gefunden bei Sutton Hoo, Suffolk, England
600–650 n. Chr.
    Von der Hitze Arabiens, dem Aufstieg des islamischen Reiches und der politischen Neuordnung im Nahen und Mittleren Osten nach dem Tod des Propheten Mohammed versetzt uns das nächste Objekt in ganz andere Gefilde: in die kühlen Breiten von East Anglia und an einen Ort, an dem sich vor etwas mehr als siebzig Jahren Dichtung und Archäologie auf unerwartete Weise vereinten und unser Verständnis der nationalen Identität Großbritanniens veränderten. Die Entdeckung dieses Objekts – eines Helms – war Teil eines der größten und bedeutendsten archäologischen Funde der Neuzeit. Es spricht zu uns durch die Jahrhunderte und kündet von Poesie und Schlachtengetümmel und von einer Welt, deren Mitte die Nordsee bildete.
    Im Sommer 1939 kam es bei Sutton Hoo, ein paar Kilometer von der Küste Suffolks entfernt, zu einer der aufregendsten Entdeckungen der britischen Archäologie. Als man die Grabstätte eines Angelsachsen freilegte, der dort Anfang des 7. Jahrhunderts bestattet worden war, veränderte das die allgemein gängige Vorstellung von der Zeit, die man bisher als «Dark Ages», als finsteres Mittelalter betrachtet hatte, grundlegend – also der Jahrhunderte nach dem Ende der römischen Herrschaft in Britannien. Angus Wainwright, als Archäologe beim National Trust für den Osten Englands zuständig, erklärt, was dort gefunden wurde:
    «Auf einer exponierten Anhöhe – gut 30 Meter – über dem Fluss Deben finden sich zahlreiche Erdhügel. In einem der größten Erdhügel, den wir wenig aufregend als Erdhügel 1 bezeichnen, entdeckte man 1939 das berühmte Schiffsgrab, und ringsum haben wir 18 bis 20 weitere solcher Erdhügel.»
    In diesem Bootsgrab fand man den berühmten Helm von Sutton Hoo sowie eine erstaunliche Vielzahl an wertvollen Gegenständen, die aus ganz Europa zusammengetragen worden waren: Waffen und Rüstungen,

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