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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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einer Serie kurzlebiger Eroberungen einen Staat, der in der einen oder anderen Form bis zum Ende des Ersten Weltkriegs Bestand haben sollte.
    Abd al-Malik gehörte zu einer neuen Sorte muslimischer Herrscher. Er hatte keine persönliche Erinnerung an Mohammed und erkannte schlau, wie er die Traditionen früherer Imperien – vor allem von Rom und Byzanz – am besten nutzte, um sein eigenes Reich zu errichten. Hugh Kennedy, Professor an der School of Oriental and African Studies in London, erläutert, wie er das an stellte:
    «In den Jahren nach dem Tod des Propheten 632 waren die Kalifen im Wesentlichen die politischen und religiösen Anführer der muslimischen Gemeinschaft. Im ersten islamischen Jahrhundert erkannten alle arabischen Muslime, dass es sich hier um mehr, nämlich um einen neuen Staat handelte – was davor gewesen war, war nicht wirklich relevant. Diese Kalifen waren nicht die Nachfolger der byzantinischen Kaiser oder der sassanidischen Könige der Könige. Mag sein, dass sie sich bei diesen Herrschern Lösungen für administrative Probleme abschauten – etwa wie man Geld eintrieb und welche Art von Geld man überhaupt ausgab –, aber sie sahen sich keineswegs in der gleichen Rolle wie diese. Das war eine neue Zeit.»
    Eine der verwaltungstechnischen Lösungen, die Abd al-Malik bei den byzantinischen Machthabern entlieh, betraf die Währungsfrage. Bisher hatte das neue islamische Großreich gebrauchte Münzen aus der Zeit vor der Eroberung verwendet oder Goldmünzen importiert, insbesondere aus Byzanz. Doch Abd al-Malik erkannte rasch, dass es nur zu wirtschaftlicher Instabilität führte, wenn Quantität und Qualität des Geldes nicht kontrolliert würden. Er begriff, dass Münzen im Wortsinne das Markenzeichen der Herrschaft waren, weil sie in der Gesellschaft, die diese Münzen benutzte, davon kündeten, wer die Macht hatte – und er wusste, dass diese Macht nun in seinen Händen lag. In der vormodernen Welt waren Münzen in der Regel der einzige massenhaft produzierte Gegenstand, der tagtäglich benutzt wurde, und das Münzwesen war deshalb ein außerordentlich wichtiges Element der visuellen Kultur einer Gesellschaft.
    Aus diesem Grund war auf der ersten offen islamischen Münze Abd al-Malik selbst abgebildet. Der Befehlshaber der Gläubigen hatte die Kaiser von Byzanz verdrängt und war an deren Stelle getreten. Doch mit den Münzen, auf denen Abd al-Malik stehend zu sehen war, passierte etwas Seltsames. Nach ein paar Jahren verschwanden sie schlicht und einfach. Während des Jahres 77 (697 unserer Zeitrechnung) wurde die Kalifen-Münze plötzlich durch ein Geldstück ersetzt, das völlig anders aussah. Auf ihm finden sich kein Kalif, keine Figur, nur Wörter. Wir haben es hier mit einem Schlüsselmoment für die öffentliche Kunst des Islam zu tun. Von nun sollte mehr als tausend Jahre lang in einem derart öffentlichen Bereich keine Darstellung eines Menschen mehr Verwendung finden.
    Die spätere Münze entspricht in Größe und Gewicht genau der früheren, und auch sie besteht aus reinem Gold. Doch diese Münze verkündet, dass sie im Jahr 77 geprägt wurde, nur ein Jahr nach der früheren, und nun findet sich darauf nichts weiter als Text. Auf der Vorderseite ist zu lesen: «Es gibt keinen Gott außer Gott, er hat keinen Teilhaber [an seiner Herrschaft], und Mohammed ist der Gesandte Gottes, den er als Führer schickte, damit er der Religion der Wahrheit zum Sieg über jeden anderen Glauben verhelfe.» Hierbei handelt es sich um die Abwandlung eines Koranverses. Auf der Münzrückseite findetsich ein weiterer Text aus dem Koran: «Gott ist Einer, er ist ewig, er hat nicht gezeugt und ihn hat keiner gezeugt.»
    Die von Abd al-Malik ausgegebene neue Münze ist mit Text versehen, der aus dem Koran stammt.
    Die Inschriften auf dieser Münze werfen zwei interessante Fragen auf. Erstens handelt es sich um den beinahe ältesten Korantext, der irgendwo erhalten geblieben ist. Vor Mohammed war das Arabische nicht wirklich eine Schriftsprache, doch nun bestand ein lebhaftes Bedürfnis, die Worte Gottes akkurat aufzuzeichnen, und so kam es zur ersten voll entwickelten arabischen Schrift, der sogenannten Kufischen Schrift, die auch auf unserer Münze Verwendung findet. Doch diese Münze verrät uns noch etwas anderes. Wenn Münzen von der herrschenden Macht in einer Gesellschaft künden, so folgt daraus, dass die herrschende Macht in diesem Reich von nun an nicht der Kaiser, sondern das Wort Gottes

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