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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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versprochenen Wohlstand brachten. In den 370er Jahren war es mit den Opfergaben an traditionelle Götter urplötzlich zu Ende, an ihre Stelle traten andere Götter mit größerer, universeller Reichweite. Das sind die heutigen Religionen. Innerhalb der nächsten Jahrhunderte wechselten die Herrscher im Jemen vom Judentum zum Christentum, zum Zoroastrismus und schließlich, im Jahr 628, zum Islam, der seither die beherrschende Religion des Landes ist. Lokale Götter wie Ta’lab hatten keine Chance mehr gegen die großen supranationalen Religionen.
    Doch einige Elemente von Ta’labs Welt leben fort. So wissen wir beispielsweise, dass er wie viele andere arabische Götter durch Pilgerfahrten zu seinem Heiligtum verehrt wurde. Der Religionshistoriker Philip Jenkins, Professor an der Pennsylvania State University, ist fasziniert von schwer fassbaren Überbleibseln wie diesen:
    «Bestimmte Aspekte des alten heidnischen Glaubens im arabischen Raum leben im Islam und in muslimischen Zeiten fort, insbesondere in der Praxis der Pilgerschaft, der Hadsch, nach Mekka. Muslime würden natürlich jeden heidnischen Zusammenhang vehement zurückweisen. Sie stellen das Ganze in einen abrahamitischen Kontext; wahrscheinlicher jedoch ist, dass das, was auf der Hadsch geschieht, ziemlich genau an das erinnert, was in heidnischen Zeiten in diesem Zentrum vor sich ging.
    Ich habe behauptet, dass Religionen sterben. Aber vielleicht lassen sie Geister zurück – und überall im Nahen und Mittleren Osten findet man viele Geister, viele Überreste älterer Religionen in den jüngeren, erfolgreichen Religionen. Betrachtet man beispielsweise den Islam, so erkennt man zahlreiche Überbleibsel aus dem Christentum und dem Judentum – der Koran steckt voller Geschichten, die nur im Hinblick darauf einen Sinn ergeben, was Christen und Juden damals verstanden. Auch bei den Bauwerken des Islam, seinen Institutionen und seinen mystischen Praktiken findet man viele dieser geisterhaften Überreste. Als sich der Islam dann ausbreitet, bedient er sich an neuartigen Vorbildern aus älteren Religionen und beschwört neue Geister.»
    Am Ende sollte der sich ausbreitende Islam den Großteil der Welt erobern, die wir in diesem Abschnitt betrachtet haben; ja, er sollte sogar all die Orte erfassen, aus denen unsere Objekte stammen, mit Ausnahme von Dorset. Im nächsten Abschnitt will ich zeigen, wie diese siegreichen islamischen Herrscher die von ihnen eroberten Gebiete verwalteten.

Teil X
Die Seidenstraße und darüber hinaus
400–800 n. Chr.
    Die Seidenstraße von China bis zum
Mittelmeer erlebte ihren Höhepunkt zwischen den
Jahren 500 und 800 nach Christus, also zu Zeiten, da in
Westeuropa «finsteres Mittelalter» herrschte. Diese Handelsroute
verband ein unter der Tang-Dynastie wiedererstarktes China
mit dem erst kurz zuvor gebildeten islamischen Kalifat, das auf der
arabischen Halbinsel eruptiv entstanden war und mit erstaunlicher
Geschwindigkeit den Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika
eroberte. Doch nicht nur Menschen und Waren breiteten sich entlang der
Seidenstraße aus, sondern auch Ideen. Auf ihr gelangte der Buddhismus
aus Indien nach China und darüber hinaus bis ins neu entstandene
Königreich Korea. Produkte aus Südasien schafften es sogar bis ins
ferne Britannien, wie die Edelsteine belegen, die man im
Schiffsgrab von Sutton Hoo gefunden hat. Gleichzeitig, aber
völlig eigenständig, erlebten die ersten organisierten
Staaten in Südamerika eine Blütezeit.

Von Abd al-Malik ausgegebene Goldmünze, die den Kalifen persönlich zeigt (oben).

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Goldmünzen von Abd al-Malik
    Goldmünzen, geprägt in Damaskus, Syrien
Geprägt 696/697 n. Chr.
    Diese beiden Dinar-Münzen stehen sinnbildlich für eine der größten politischen und religiösen Umwälzungen, die jemals stattfand – die dauerhafte Transformation des Nahen und Mittleren Ostens in den Jahren nach dem Tod des Propheten Mohammed. Für die Muslime wurde die Uhr der Geschichte neu gestellt, als Mohammed und seine Anhänger von Mekka nach Medina zogen. Dieses Ereignis, die Hidschra, das sich im Jahr 622 christlicher Zeitrechnung zutrug, markierte für den Islam den Beginn des Jahres 1 in einem neuen Kalender. Für seine Anhänger hatten die Lehren des Propheten die Gesellschaft so sehr verändert, dass die Zeit neu begonnen hatte. Die nächsten Objekte werden zeigen, wie die Welt in diesem entscheidenden historischen Augenblick aussah. Sie sind alle in den Jahren um Mohammeds Tod

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