Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Geschichte, mit Kontakten, Handelsbeziehungen und Wanderungsbewegungen, die Tausende von Jahren zurückreichen.
Seamus Heaney erinnert uns daran, dass uns das angelsächsische Schiffsgrab von Sutton Hoo sogleich mitnimmt in die Welt des
Beowulf
, des Grundpfeilers englischer Dichtung. Doch von den Charakteren des
Beowulf
kommt kein Einziger tatsächlich aus England. Es sind Schweden und Dänen, Krieger aus ganz Nordeuropa, die das Epos bevölkern, und das Schiffsgrab von Sutton Hoo enthältSchätze aus dem östlichen Mittelmeerraum und aus Indien. Die Geschichte Britanniens, die uns diese Objekte erzählen, ist gleichermaßen eine Geschichte des Meeres wie des Landes, die Geschichte einer Insel, die schon lange mit Europa und Asien verbunden ist und die sogar schon im Jahre 600 unserer Zeitrechnung von der Welt jenseits ihrer Küsten geprägt und verändert wurde.
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Gefäß der Moche in Form eines Kriegers
Keramikgefäß, aus Peru
100–700 n. Chr.
In Peru hat ein weitgehend vergessenes Volk der Nachwelt nicht nur ein Gesicht hinterlassen, wie im Fall des Helms von Sutton Hoo, sondern ein vollständiges, dreidimensionales Porträt eines Kriegers. Ausgehend von dieser kleinen Skulptur – von der Kleidung und den Waffen, die sie trägt, von der Art, wie sie gefertigt und begraben wurde – können wir versuchen, die Elemente einer verlorenen Kultur zu rekonstruieren. Diese Kultur konnte unmöglich irgendeinen Kontakt mit den zur gleichen Zeit blühenden Gesellschaften in Europa und Asien gehabt haben – doch erstaunlicherweise zeigt sie in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeiten mit ihnen.
Die Geschichte meinte es nur mit einigen wenigen amerikanischen Kulturen gut. Die Azteken und die Inkas haben einen unverrückbaren Platz in unserer kollektiven Vorstellungswelt, doch kaum jemand von uns weiß, woher die Moche stammen. Experten für die amerikanische Frühgeschichte entdecken erst allmählich die Kulturen, die parallel zu ihren fortgeschrittensten europäischen Pendants – und genauso hoch entwickelt wie diese – existierten. Im Zentrum dieser Neubewertung der Vergangenheit Amerikas stehen die Moche.
Vor gut 2000 Jahren begründete das Volk der Moche eine Gesellschaft, die vermutlich auch die ersten echten staatlichen Strukturen in ganz Südamerika aufwies. Diese Zivilisation entwickelte sich auf dem engen Streifen Land zwischen dem Pazifik und den Anden, der weitgehend Wüste ist, und sie bestand mehr als 800 Jahre lang – in etwa von der Zeit der Expansion Roms um 200 v. Chr. bis zu den islamischen Eroberungen um 650 unserer Zeitrechnung. Die Geschichte dieser Kultur ist uns heute allein über archäologische Funde zugänglich,da die Moche keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben. Dafür haben wir ihre Gefäße.
In der Aufklärungsabteilung des Britischen Museums haben wir eine ganze Palette an südamerikanischen Keramikgefäßen ausgestellt. Sie sind über 1300 Jahre alt und bieten, wie sie da so aufgereiht stehen, einen außerordentlichen Anblick: eine Reihe kleiner, brauner Tonskulpturen, gut 23 Zentimeter groß und cremefarben bemalt. Sie beschwören eine ganze Welt herauf. Es gibt ein Eulenpaar, eine Fledermaus, einen Seelöwen, der gerade einen Fisch verspeist; es gibt Priester und Krieger; und sie alle sitzen da wie kleine Skulpturen, doch sie weisen jeweils auch einen geschwungenen Henkel und einen Ausguss auf, denn wir haben es hier nicht nur mit Statuen zu tun, sondern auch mit kleinen Kannen. Das Ganze ist sozusagen eine Darstellung des Moche-Universums in Keramik.
Das von mir ausgesuchte Gefäß, das uns noch etwas ausgiebiger in die Welt Perus vor 13 Jahrhunderten entführen soll, hat die Form eines jungen Moche-Kriegers, der mit einem Bein am Boden kniet. In seiner rechten Hand hält er e twas, das aussieht wie ein Mikrophon, doch in Wirklichkeit handelt es sich um einen Knüppel, einen wahren «Kopfknacker», und an seinem linken Unterarm trägt er einen kleinen runden Schild. Seine Haut ist von einem tiefen Kupferbraun, und seine Augen starren mit vereinnahmendem Blick in die Welt.
Wir müssen den Gefäßen nicht unbedingt Informationen über die Gesellschaft, aus der sie stammen, entlocken, sondern können sie natürlich auch einfach als große Kunstwerke bewundern. Die Moche waren wahre Meister der Keramik, so dass ein anderer Meisterkeramiker, der Turner-Preisträger Grayson Perry, ihre Schöpfungen vermutlich am besten beurteilen kann:
«Diese Gefäße sind wunderbar
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