Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
Moche-Gefäßen berichtet wird, ist keineswegs nur künstlerische Erfindung. Der Archäologe Steve Bourget hat Belege dafür gefunden, dass das auch in Wirklichkeit geschehen ist:
    «Wir haben eine Opferstätte ausgegraben, zu der rund 75 männliche Krieger gehörten, die im Zuge verschiedener Rituale geopfert worden waren, und wir fanden auch die Gräber der Opferer. Eines der Gräber enthielt zudem einen Holzknüppel mit menschlichem Blut dran, damit hatten wir den entscheidenden Beweis und die Opfer Seite an Seite mit ihren Schlächtern innerhalb des Tempels.
    Wir fanden heraus, dass es sich um männliche Krieger handelte – robuste, kräftige Männer im Alter zwischen 18 und etwa 39 Jahren. Sie wiesen eine Menge alter Verletzungen auf, wie sie in Kämpfen vorkommen, aber auch viele frische Verletzungen – zahlreiche Schnittwunden am Hals, an den Armen, im Gesicht, was darauf schließen lässt, dass den meisten die Kehle durchgeschnitten wurde, dass einigen die Gesichtshaut entfernt oder Arme abgetrennt wurden. Bei einigen war alles Fleisch entfernt, sie waren nur noch Skelett – in einem Fall hatte man sogar zwei Schädel in irgendeine Art von Behältnis verwandelt.»
    Dieses ebenso abstoßende wie aufregende Material ist noch immer ziemlich geheimnisumwittert. Im 7. Jahrhundert – also etwa zu der Zeit, zu der auch das Schiffsbegräbnis von Sutton Hoo (Kapitel 47) stattfand – hörten die Moche damit auf, diese Schreckensgefäße herzustellen, und beendeten auch so gut wie alles andere. Es gibt keine schriftlichen Aufzeichnungen, die uns verraten, warum das so war, doch am wahrscheinlichsten sind klimatische Veränderungen. Auf mehrere Jahrzehnte intensiven Regens folgte eine Dürre, welche die sensible Ökologie ihrer Landwirtschaft durcheinanderbrachte und Infrastruktur sowie Acker- und Weideland des Moche-Staates weitgehend zerstörte. Die Menschen verließen die Gegend nicht vollständig, aber sie scheinen ihre Fähigkeiten nun vor allem auf den Bau von Festungen verwandt zu haben, was darauf schließen lässt, dass hier eine Welt in einem verzweifelten Kampf um schwindende natürliche Ressourcen zerfiel. Doch aus welchen Gründen auch immer: Tatsache ist, dass Staat und Kultur der Moche in den Jahrzehnten um 600 zusammenbrachen.
    Für uns in Europa sind die Moche und andere südamerikanische Kulturen heute wenig vertraut und sogar ein wenig enervierend. Das hat zum Teil damit zu tun, dass sie einer kulturellen Tradition angehören, die einem ganz anderen Muster folgte, als dies in Afrika, Asien und Europa der Fall war; über Jahrtausende hatte der amerikanische Doppelkontinent eine separate, ganz eigene Parallelgeschichte. Doch je mehr davon durch Ausgrabungen zum Vorschein kommt, desto deutlicher erkennen wir, dass die Menschen dort mit den gleichen Problemenund Nöten zu kämpfen hatten wie alle anderen – der Nutzbarmachung von Natur und Rohstoffen, dem Vermeiden von Hunger, der Besänftigung der Götter, dem Kriegführen –, und wie überall sonst versuchten sie diesen Problemen zu begegnen, indem sie kohärente und dauerhafte Staaten errichteten. Auf dem amerikanischen Kontinent werden diese versunkenen, vergessenen Geschichten wie auch anderswo auf der Welt wiederentdeckt und dienen der modernen Selbstvergewisserung, wie Steve Bourget zeigt:
    «Wenn ich mir das heutige Peru ansehe, dann fasziniert mich mit am meisten, dass hier gerade ein Prozess abläuft, der auch in Mexiko, vielleicht in Ägypten und möglicherweise sogar in China zu beobachten ist, dass nämlich diese Länder, die über eine große, lange Vergangenheit verfügen, ihre Identität auf diese Vergangenheit gründen und sie zu einem Teil ihrer Gegenwart machen. Die Vergangenheit Perus wird somit seine Zukunft sein. Und letztlich werden die Moche genauso zu einem festen Begriff werden wie die Maya, die Inkas oder auch die Azteken. Am Ende werden auch sie zum Erbe dieser Welt gehören.»
    Je intensiver wir diese amerikanischen Kulturen in Augenschein nehmen, desto deutlicher können wir erkennen, dass ihre Geschichte einem kohärenten und bemerkenswert ähnlichen weltweiten Muster folgt; eine Geschichte, die dazu bestimmt zu sein scheint, in der Moderne immer stärker an politischer Bedeutung zu gewinnen. Im nächsten Kapitel werden wir sehen, was Ereignisse von vor 1300 Jahren für das heutige Korea bedeuten.



49
Koreanischer Dachziegel
    Schindel aus Keramik, aus Südkorea
700–800 n. Chr.
    Wenn man ein Handy benutzt, ein

Weitere Kostenlose Bücher