Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
modelliert; es sieht fast so aus, als handele es sich um geglättete Keramik. Würde ich diesen Effekt erzielen wollen, würde ich wahrscheinlich die Rückseite eines Löffels benutzen, doch die Moche haben vermutlich irgendeine Art von Knochenwerkzeug verwendet. Sie waren Experten in Sachen Modeltechnik, und sie verwendeten eine Menge Gussformen, um diese Dinge vielfach zu replizieren. Man stellt sich vor, derjenige, der diese Figur gemacht hat, hat Hunderte davon gefertigt, und sie haben diese Arbeit offenbar mit großer Souveränität erledigt.»
Archäologische Ausgrabungen von Mochegräbern fördern oftmals eine Vielzahl dieser bemalten Gefäße zutage – manchmal Dutzende davon –, alle sorgfältignach wiederkehrenden Themen und Aspekten angeordnet und organisiert. Allein die Menge an Moche-Gefäßen, die sich erhalten haben, zeugt davon, dass diese Gesellschaft beträchtliche Dimensionen gehabt haben muss. Keramiken wie diese herzustellen muss eine wahre Industrie mit ausgeklügelten Strukturen im Hinblick auf Ausbildung, Massenproduktion und Vertrieb erfordert haben.
Das Territorium der Moche erstreckte sich über beinahe 600 Kilometer entlang der Pazifikküste des heutigen Peru. Es war im Wortsinne ein beengtes Dasein – auf der einen Seite der Ozean, auf der anderen Seite die Berge und dazwischen vor allem wüstes Land. Doch ihre größte Siedlung, an deren Stelle heute die südlichen Außenbezirke der modernen peruanischen Großstadt Trujillo zu finden sind, war die erste echte Stadt in Südamerika, mit Straßen, Kanälen, Plätzen und Industriegebieten, auf die damals jede zeitgenössische römische Stadt stolz gewesen wäre. Die Überreste des Kanalnetzes, mit dessen Hilfe die Moche die aus den Bergen kommenden Flüsse bändigten, lassen sich noch heute besichtigen. Auch die extrem reichen Gewässer des Pazifik beuteten sie aus und fingen Fische, Meeresfrüchte, Seelöwen, Wale und Vögel – eine Keramik im Britischen Museum stellt einen Moche-Fischer in einem großen Boot dar, der Thunfisch fängt. Die Moche kultivierten und bewässerten ihre Umwelt mit großer Sorgfalt, sie bauten Mais und Bohnen an, hielten Lamas, Enten und Meerschweinchen und konnten damit dreimal so viele Menschen ernähren, wie heute auf diesem Gebiet leben.
Und doch sind es, wie so oft in der Menschheitsgeschichte, nicht die großen Leistungen in Sachen Wasserbau oder Landwirtschaft, denen eine Gesellschaft in ihren Kunstwerken ein Denkmal setzt. Es ist vielmehr der Krieg. Die Feier von Krieg und Kriegern ist ein zentraler Aspekt der Moche-Kunst, und darin spiegelt sich natürlich die Bedeutung wider, die der Krieger für diese Gesellschaft hatte – ähnlich wie bei den Römern oder den Angelsachsen in Europa. Gleichwohl waren für die Moche Krieg und Religion auf eine Weise miteinander verknüpft, die Europäern ein wenig fremd gewesen sein dürfte. Denn für die Moche zu kämpfen hatte einen ausgeprägt rituellen Aspekt an sich. Um sich zu schützen, trägt dieser Krieger einen kleinen Rundschild, nicht viel größer als ein Essteller, und als Angriffswaffe einen schweren Holzknüppel, mit dem man leicht jemandem den Schädel einschlägt. Seine verzierte Kleidung legt nahe, dass es sich umeinen jungen Mann von hohem gesellschaftlichem Rang handelt, doch haben wir es eindeutig mit einem Fußsoldaten zu tun. Damals gab es in Südamerika keine Pferde, sie kamen erst später mit den Europäern. Also war sogar die Elite der Moche zu Fuß unterwegs und kämpfte auch so.
Gefäße der Moche: ein Seelöwe, zwei Priester, ein Krieger, eine Fledermaus und ein Eulenpaar.
Andere Gefäße zeigen Szenen, in denen Krieger einander im Kampf Mann gegen Mann gegenüberstehen, auch sie wie diese Figur mit Knüppeln und kleinen Schilden bewaffnet. Es kann sich dabei durchaus um echte Kampfszenen handeln, sie scheinen aber auch Teil eines allgemeinen Mythos der Moche zu sein, den wir aus Gruppen von Gefäßen rekonstruieren können. Diese Keramiken waren offenbar ausschließlich für Begräbnisse und Opferrituale bestimmt und handeln auf ganz feierliche, pathetische Weise von Leben und Tod. Insgesamt betrachtet, erzählen sie eine grauenvolle Geschichte. Eine Auseinandersetzung wie diese zu verlieren bedeutet mehr, als nur sein Gesicht zu verlieren. Der besiegte Krieger wurde geopfert – er wurde durch eine Figur mit dem Kopf eines Tieres enthauptet, und die anderen tranken anschließend sein Blut. Diese blutige Erzählung, die von den
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