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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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lernten und große kulturelle Leistungen hervorbrachten.
Technologische Forschritte ermöglichten die Entstehung prunkvoller
Objekte, die den Reichen dazu dienten, ihren Status, ihre Bildung und
ihren Geschmack zur Schau zu stellen. Im mongolisch beherrschten China
wurde zuerst das berühmte «Blau-Weiß»-Porzellan entwickelt, das schließlich
rund um den Globus in Mode kam. In Ife, einem der ersten Stadtstaaten
Westafrikas, schufen Hofkünstler lebendig anmutende Skulpturen, indem sie
hochentwickelte Bronze-Arbeitstechniken anwandten. In der islamischen
Welt blühten Kunst und Wissenschaften, und die europäischen Gelehrten
profitierten vom islamischen Fortschritt im Bereich der Astronomie, der
Mathematik und sogar im Schachspiel, das in ganz Europa zum
Zeitvertreib der Elite wurde. In der präkolumbischen Karibik
war der Rang eines Herrschers eng mit den Zeremonialthronen
verbunden, die den Zutritt zur Geisterwelt
ermöglichten.



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Die Lewis-Schachfiguren
    Schachfiguren aus Elfenbein von Walrossen und Walzähnen, vermutlich in Norwegen
entstanden, gefunden auf der Isle of Lewis, Schottland
1150–1200 n. Chr.
    1972 hielt eine der größten Schlachten des Kalten Krieges die Welt in Atem. Sie wurde in Island geschlagen, und es handelte sich um eine Schachpartie – zwischen dem Amerikaner Bobby Fischer und dem Russen Boris Spasski.
    «Schach ist Krieg auf einem Brett», erklärte Fischer damals, und zu diesem Zeitpunkt der Geschichte schien es tatsächlich so. Aber das hat natürlich schon immer gegolten; wenn alle Spiele bis zu einem bestimmten Grad Surrogate für Gewalt und Krieg sind, dann ist kein Spiel so eng vergleichbar mit dem Grundmodell einer Schlacht wie Schach. Zwei gegnerische Armeen stellen sich auf, um über das Feld zu marschieren, die Bauern als Infanterie zuerst, die Offiziere dahinter. Jedes Schachspiel zeigt eine Gesellschaft im Krieg; ob es sich nun um eine indische Gesellschaft, eine aus dem Mittleren Osten oder eine europäische handelt, wie die Figuren benannt und gestaltet sind, erzählt uns eine Menge darüber, wie die betreffende Gesellschaft funktioniert. Wenn wir uns also ein Bild der europäischen Gesellschaft um 1200 machen wollen, dann könnten wir kaum etwas Besseres tun, als uns anzuschauen, wie sie Schach spielte. Keine andere Gruppe von Schachfiguren liefert so aufschlussreiche Einblicke wie die 78 verschiedenen Figuren, die 1831 auf der Hebrideninsel Isle of Lewis gefunden wurden und seitdem als die Lewis-Schachfiguren bekannt sind.
    Siebenundsechzig der Figuren befinden sich heute im Britischen Museum, elf in den National Museums von Schottland. Über beide Orte hinaus führen uns diese allseits beliebten Figuren ins Herz der mittelalterlichen Welt.
    Die Menschen spielen seit mehr als 5000 Jahren Brettspiele, aber Schach isteine relativ neue Entdeckung – es scheint irgendwann nach dem Jahr 500 in Indien erfunden worden zu sein. Während der nächsten Jahrhunderte verbreitete sich das Spiel im Nahen und Mittleren Osten und gelangte von dort aus ins christliche Europa. An allen Orten veränderten sich die Figuren und spiegelten so die Gesellschaft wider, die mit ihnen spielte. So gibt es in Indien Schachfiguren, die «Kriegselephanten» genannt werden, während im Mittleren Osten aufgrund der islamischen Vorbehalte gegen das menschliche Abbild ausschließlich nahezu abstrakte Spielsteine vorkamen. Im Gegensatz dazu sind europäische Schachfiguren oft besonders menschlich gestaltet, und die Lewis-Figuren scheinen uns nicht nur bestimmte Charaktere vor Augen zu führen, sondern sie offenbaren auch auf markante Weise die Strukturen dieses großen mittelalterlichen Machtspiels, so wie es in Nordeuropa, von Island und Irland über Skandinavien bis ins Baltikum, ausgetragen wurde.
    Sie sind viel größer als die Figuren, mit denen die meisten von uns heute spielen; der König etwa ist ungefähr 8 Zentimeter hoch, und er lässt sich gerade noch mit einer Hand umschließen. Die meisten von ihnen sind aus den Stoßzähnen von Walrossen geschnitzt, manche wurden auch aus den Zähnen eines Wales gemacht. Einige der Figuren waren ursprünglich rot bemalt, nicht schwarz, wie es heute üblich ist, aber heute ist die Farbe bei allen ein blasses cremiges Braun.
    Beginnen wir mit den Bauern. Eines der Rätsel um die Lewis-Schachfiguren ist, dass es viele Hauptfiguren und wenige Bauern gibt. Wir haben Figuren von mehreren unvollständigen Spielen, aber darunter sind nur neunzehn Bauern. Die

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