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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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zu finden. So überrascht es nicht, dass das älteste erhaltene Astrolabium ein islamisches aus dem 10. Jahrhundert ist. Das hier abgebildete Astrolabium ist allerdings ein jüdisches, das vor ungefähr 650 Jahren in Spanien angefertigt wurde. Auf ihm sind hebräische Schriftzüge eingraviert, aber ebenso arabische und spanische Worte, und es weist sowohl islamische als auch europäische Verzierungen auf. Es stellt nicht nur ein hochentwickeltes wissenschaftliches Instrument dar, sondern steht zugleich symbolisch für einen besonderen Zeitpunkt der religiösen und politischen Geschichte Europas.
    Wir wissen nicht genau, wer der Besitzer dieses besonderen hebräischen Astrolabiums war, aber es erzählt uns eine Menge darüber, wie jüdische und islamische Gelehrte Naturwissenschaften und Astronomie neu belebten, indem sie das Erbe des klassischen Griechenland und Roms weiterentwickelten. Dieses Instrument zeugt von einer großartigen gedanklichen Synthese zu einer Zeit, in der die drei Religionen – das Christentum, das Judentum und der Islam – einträchtignebeneinander bestanden. Es gab keine religiöse Übereinkunft, aber die drei Glaubensrichtungen koexistierten in fruchtbarer Auseinandersetzung und ließen Spanien zum geistigen Machtzentrum Europas werden.
    Ein Astrolabium macht die Gesamtheit mittelalterlicher Astronomielehren in kompakter Form greifbar. Wie die jüngsten Entwicklungen unserer Zeit war diese Technologie ein «Must-Have», ein Zeichen dafür, dass man auf dem neuesten Stand war. Es gibt einen herrlich komischen und bewegenden Brief Chaucers an seinen zehnjährigen Sohn Lewis, der offensichtlich den technikvernarrten Jungen jeder Generation ähnelte und versessen darauf war, sich an einem Astrolabium zu versuchen. Mit seinem Brief verfasste Chaucer auch eine kleine Betriebsanleitung, in der er dem Jungen erklärte, wie er das Instrument handhaben solle, und mit der er ihn warnte, wie schwierig das sei – ich vermute jedoch, dass Lewis, wie die meisten Kinder heute, seinem Vater bald davonzog.
    «Kleiner Lewis, ich habe Deine Fähigkeiten im Bereich der Wissenschaften, die mit Zahlen und Maßen zu tun haben, wohl bemerkt. Und ich habe auch über Deinen innigen Wunsch nachgedacht, im Besonderen die Abhandlung über das Astrolabium zu studieren. Hier hast Du ein Astrolabium unseres Horizontes und eine kleine Zusammenstellung von Erklärungen zu diesem Instrument.
    Sei versichert, dass kein Sterblicher in dieser Region all die zahlreichen Einsichten, die sich aus der Arbeit mit einem so vorzüglichen Instrument wie dem Astrolabium ergeben oder möglicherweise noch ergeben werden, vollkommen begreift. Außerdem habe ich gesehen, dass es einige Anweisungen gibt, die nicht in allen Punkten die beabsichtigten Resultate liefern; und einige davon werden zu schwer sein, um sie in Deinem zarten Alter von zehn Jahren zu verstehen …»
    Auf den ersten Blick gleicht dieses Astrolabium einer überdimensionalen altmodischen Taschenuhr mit einem Zifferblatt ganz aus Messing. Es zeigt eine schimmernde Montage ineinandergreifender Messingteile, mit fünf hauchdünnen übereinanderliegenden Scheiben, die von einem Stift in der Mitte zusammengehalten werden. Obenauf sieht man einige Markierungen, die auf die verschiedenen Symbole der Scheiben hin ausgerichtet werden können, um astronomische Deutungen vorzunehmen oder dabei zu helfen, den eigenen Standort zu bestimmen. Ein Astrolabium wie dieses wurde für den Breitengrad an gefertigt, in dessen Bereich es benutzt werden sollte – die fünf Scheiben er möglichen einen genauen Messwertzwischen den geographischen Breiten der Pyrenäen und Nordafrikas. In der Mitte dieses Bereichs befinden sich die Breitengrade der spanischen Städte Sevilla und Toledo.
    Das zeigt uns, dass dieses Astrolabium mit ziemlicher Sicherheit für jemanden angefertigt wurde, der in Spanien lebte und möglicherweise Reisen zwischen Nordafrika und Frankreich unternahm. Überdies gibt die Schrift auf dem Astrolabium genaue Auskunft über die Person, die es benutzt haben muss. Der Besitzer ist jüdisch und gebildet.
    Silke Ackermann, Kuratorin für wissenschaftliche Instrumente im Britischen Museum, hat viel Zeit damit verbracht, dieses Astrolabium zu erforschen:
    «Die Inschriften sind alle auf Hebräisch – Sie können die fein eingravierten hebräischen Schriftzeichen ziemlich deutlich erkennen. Aber faszinierend an diesem Stück ist, dass nicht
alle
Wörter hebräisch sind. Einige von

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