Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Heimatstadt, Shuncheng, in der heutigen Provinz Jiangxi, einige hundert Kilometer südwestlich von Shanghai. Er bietet diese beiden prachtvollen Vasen zusammen mit einem Räuchergefäß dar (diese drei Dinge bildeten ein typisches Altar-Set), wenngleich das Räuchergefäß bisher noch nicht gefunden wurde. Die besondere Gottheit, der diese Gabe gewidmet ist – General Hu Jingyi, ein Militär des 13. Jahrhunderts, der in den göttlichen Stand erhoben wurde wegen seiner übernatürlichen Kraft und Weisheit und seiner Fähigkeit, die Zukunft vorauszusagen –, war erst kurz zuvor ein Gott geworden. Wenjins Altar-Set wurde gespendet, um den Schutz dieses neuen Gottes zu erlangen.
Fremde Herrscher (die Mongolen), fremde Materialien (muslimisches Blau) und ausländische Märkte (Iran und der Irak) – all das spielte paradoxerweise eine bedeutende Rolle bei der Entstehung dessen, was für viele Menschen außerhalb Chinas immer noch das Chinesischste überhaupt ist, das Blau-Weiß-Porzellan. Bald wurden diese Keramikprodukte von China in großen Mengen exportiert – nach Japan und Südostasien, über den Indischen Ozean nach Afrika, in den Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus.
Schließlich erreichte das Blau-Weiß-Porzellan Jahrhunderte nach seiner Entstehung im muslimischen Iran und seiner Nachahmung im mongolischen China Europa und feierte dort Triumphe. Wie alle erfolgreichen Produkte wurde es von lokalen Manufakturen im großen Stil kopiert. Das Weidenmuster, an das viele Leute denken, wenn von Blau-Weiß die Rede ist, wurde tatsächlich in den 1790er Jahren in England von Thomas Minton erfunden – oder sollten wir besser sagen: geklaut? Es wurde augenblicklich zum Erfolg, und natürlich war es genauso ein Fantasiebild von China wie Coleridges Gedicht. Coleridge könnte in der Tat seinen Tee aus einer Tasse mit Weidenmuster getrunken haben, als er aus seinem Opiumtraum von Kublai Khans Xanadu erwachte.
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Ritualsitz der Taino
Holzschemel aus Santo Domingo, Dominikanische Republik
1200–1500 n. Chr.
In den vorherigen Kapiteln wurden Objekte beschrieben, die vor ungefähr 700 Jahren als Statussymbole Eigentum von Herrschern und Denkern auf der ganzen Welt waren, Objekte, in denen sich die Gesellschaften spiegelten, die sie in Skandinavien und Nigeria, Spanien und China erschufen. Dieses Objekt ist ein Schemel aus der Karibik, aus der heutigen Dominikanischen Republik. Auch er erzählt eine besondere Geschichte – in diesem Fall jene des Taino-Volkes, das auf den Karibischen Inseln lebte, bevor Christoph Columbus dort an Land ging. In der Geschichte der Welt ist der Schemel nach der Clovis-Speerspitze (Kapitel 5) das erste Objekt, in welchem sich die voneinander unabhängigen Erzählungen des amerikanischen Kontinents einerseits und diejenigen aus Europa, Asien und Afrika andererseits überkreuzen – oder, vielleicht treffender gesagt, aufeinanderprallen. Aber es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen häuslichen Gegenstand – es ist ein Schemel, der große Macht hat, ein mysteriöser und exotischer Zeremonialsitz, geschnitzt in Form eines Wesens aus dem Jenseits, halb Mensch, halb Tier, das seine Besitzer auf eine Reise zwischen den Welten mitnahm und ihnen prophetische Gaben verlieh. Wir wissen nicht, ob dieser Hocker ihnen half, die Zukunft vorauszusagen, aber wir wissen, dass denjenigen, die ihn anfertigten, Grausames bevorstand.
Innerhalb eines Jahrhunderts nach der Ankunft der Spanier 1492 starben die meisten der Taino an europäischen Krankheiten, und ihr Land wurde unter den europäischen Eroberern aufgeteilt. Das war ein Vorgang, der sich auf dem amerikanischen Kontinent mehrfach wiederholte, aber die Taino gehörten zu den Ersten, die mit den Europäern Kontakt hatten, und sie erlitten mehr als vielleichtjedes andere Volk von amerikanischen Ureinwohnern. Sie hatten keine Schrift, und so bekommen wir nur dank einer kleinen Zahl von Objekten, zu denen dieser Hocker zählt, eine Ahnung davon, wie die Taino sich ihre Welt vorstellten und wie sie versuchten, diese unter Kontrolle zu halten.
Der Begriff «Taino» bezeichnet in der Regel die vorherrschende Volksgruppe, die die größeren Karibischen Inseln bewohnte: Kuba, Jamaika, Puerto Rico und Hispaniola (heute aufgeteilt zwischen Haiti und der Dominikanischen Republik), wo unser Stuhl gefunden wurde. Über die Inseln verstreut wurden rituelle Artefakte gefunden, die uns eine Vorstellung vom Leben und Denken der Taino vermitteln.
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