Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Nachdem er sein
Cohoba
zu sich genommen hatte (was bedeutete, dass er diese Pulver durch die Nasenlöcher inhalierte) verharrte er für eine Weile mit zur Seite gedrehtem Kopf und mit auf den Knien aufgestützten Armen. Dann berichtete er ihnen von seiner Vision und erzählte ihnen, dass
Cemi
zu ihm gesprochen habe und setzte sie über die guten oder widrigen Zeiten, die kommen sollten, in Kenntnis, darüber dass sie Kinder haben oder sterben würden oder Streit oder Krieg mit ihren Nachbarn haben würden.»
Die Taino-Welt war durch Stammesfürstentümer bestimmt – Machtzentren, deren Häuptlinge untereinander kämpften, verhandelten und sich verbündeten. Für gewöhnlich lebten einige tausend Menschen zusammen in einer Siedlung, in der große runde Hütten, die um einen zentralen Platz gruppiert waren, vielleicht einDutzend Familien beherbergten. Die Hütte des Häuptlings, zugleich der heilige Ort oder Tempel des Dorfes, wo die
Duhos
zum Einsatz kamen, stand etwas abseits.
Wir wissen nicht, wer diese
Duhos
anfertigte, aber sicher ist, dass die Materialien sehr bewusst ausgewählt wurden. Das Holz für den
Duho
wuchs in der Karibik, und es faszinierte die Europäer, die damit in Berührung kamen. Sie nannten es
lignum vitae
– das «Holz des Lebens» – wegen seiner bemerkenswerten Eigenschaften. Sein Harz wurde verwendet, um eine ganze Reihe von Krankheiten zu behandeln, von Halsentzündungen bis hin zur Syphilis. Es ist außerdem eines der wenigen Hölzer, die so dicht sind, dass sie im Wasser untergehen. Ein Spanier schrieb bewundernd über die
Duhos
: «Sie sind aus solch schönem, geschmeidigem und perfektem Holz gemacht, dass nicht einmal aus Gold oder Silber je etwas Schöneres gefertigt wurde.»
Tatsächlich finden wir auch Gold an unserem
Duho
. Der breite klaffende Mund und die aufgerissenen, irren Augen des menschenähnlichen Kopfes an der Vorderseite werden durch eingelegte Goldscheiben hervorgehoben, die die furchterregende Wirkung des Objekts noch um einiges steigern. Gold wie dieses ließ die Spanier glauben, dass sie in Hispaniola die Reichtümer fänden, die sie sich erhofft hatten. Sie wurden enttäuscht: Gold ist in der Dominikanischen Republik nur in Flüssen zu finden, und es kommt nur in kleinen Mengen vor, die über Generationen hinweg gehortet werden. Wie das besondere Holz machte dieses seltene, kostbare Gold den
Duho
erkennbar zum außergewöhnlichen Objekt, zu etwas, das die Fähigkeit besaß, zwischen der irdischen und der übernatürlichen Welt zu vermitteln.
Er konnte auch zwischen lebenden Häuptlingen vermitteln. Wichtige Besucher nahmen rituell auf
Duhos
Platz, und Christoph Columbus selbst wurde diese Ehre zuteil. Aber von all den Weissagungen, die die Taino-Häuptlinge auf ihren
Duhos
sitzend aussprachen, kann keine das enthalten haben, was tatsächlich geschah: Die Spanier schleppten Pocken und Typhus ein – und schon eine gewöhnliche Erkältung hatte katastrophale Folgen für die Taino-Gemeinden, deren Immunsystem dagegen keinen Schutz bieten konnte. Diejenigen, die überlebten, wurden von den Spaniern umgesiedelt. So wurden Verwandtschaftsgruppen auseinandergerissen und schließlich afrikanische Sklaven eingeführt, um die dezimierten Arbeitskräfte vor Ort zu ersetzen.
Was blieb vom Erbe oder der Identität der Taino übrig? In der heutigen Karibik ist das Thema vieler hitziger öffentlicher Debatten. Professor Gabriel Haslip-Viera, Autor von
Taino Revival
, nimmt die Forderungen derer in den Blick, die sagen, sie stammen von den Taino ab:
«Das Taino-Volk als reine ethnische Gruppe war um 1600, ungefähr hundert Jahre nach der Ankunft der Spanier, im Grunde ausgelöscht. Die kleine Zahl der Überlebenden vermischte sich größtenteils mit den spanischen Kolonisten und den Afrikanern, die in die Karibik gebracht wurden, um die wichtigsten Arbeitskräfte zu ersetzen. Was die jüngsten Studien, die sogenannten Vermischungstests, die von Genetikern in den letzten Jahren durchgeführt wurden, ergeben haben, ist, dass die vorwiegende Mischung in der spanischsprachigen Karibik ein afrikanisch-europäischer Mix ist. Diese Tests haben eindeutig gezeigt, dass die Völker der spanischsprachigen Karibik, der Großen Antillen, Völker mit gemischtem Hintergrund sind, und dass es sich hauptsächlich um eine Mischung aus Europäern und Afrikanern handelt.»
Die Taino mögen vor Hunderten von Jahren nahezu vernichtet worden sein, aber wir finden den Nachhall ihrer verschwundenen
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