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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Interesses an Technik und Mechanik gerückt, ein Thema, von dem die Herrschenden in ganz Europa geradezu besessen waren. Die Historikerin Lisa Jardine sagt dazu:
    «Die Reichen, die Wohlhabenden jeglicher Provenienz, der Adel, jeder wollte einen technischen Apparat besitzen – etwas mit Zahnkränzen und Rädern und Aufziehfedern, eine sehr dekorative Uhr oder einen sehr dekorativen Positionsfinder. Es war schick, wissenschaftliche Instrumente zu besitzen, weil sie Werkzeuge der Expansion und Entdeckungen waren. Aufziehwerke sind eine ureuropäische Erfindung, deren Entwicklung zumindest in kleinem Maßstab zu Beginn des 16. Jahrhunderts einsetzte. Sie wurden nicht in Massen produziert, vielmehr wurde jedes einzelne Stück meist von einem Gold- oder Silberschmied in sorgfältiger Handarbeit gefertigt. Jeder ist auf Anhieb fasziniert, wenn er sieht, dass man ein Ding aufziehen kann und dann bewegt es sich, ohne dass man es berührt. Im 16. Jahrhundert sind Aufziehwerke Zauberei.»
    Uhrwerke mögen für die Menschen des 16. Jahrhunderts Zauberei gewesen sein, aber sie waren zu dieser Zeit auch das große Geschäft in Deutschland. Bei unserer Galeone lag die größte technische Fertigkeit nicht im Modellieren oder im Vergolden des Schiffes selbst, sondern in der Herstellung der Uhr und der sich automatisch bewegenden Teile. Oft wurde die Präzision, die feine Ordnung, die Eleganz dieser Automaten hervorgehoben, die das frühneuzeitliche Ideal des europäischen Staates repräsentierten, wie er hätte sein sollen, aber selten wirklich war, ein Gebilde, in dem alles harmonisch ineinandergreift, getragen von einemgemeinsamen Leitgedanken und einem gütigen Souverän. Die Faszination reichte weit über die Grenzen Europas hinaus: Automaten wie unsere Galeone wurden dem Kaiser von China und dem Sultan des Osmanischen Reichs zum Geschenk gemacht und von diesen hoch geschätzt. Welcher Staatenlenker zwischen Dresden und Kyōto wäre nicht beglückt gewesen, wenn sich Figuren auf sein Kommando hin unbeirrbar in Reih und Glied bewegten? So ganz anders als im richtigen Leben.
    Selbst im 16. Jahrhundert waren Automaten wie dieser mehr als nur ein Spielzeug für die Reichen: Sie spielten eine zentrale Rolle in den experimentellen Wissenschaften, der Technik und Mechanik und bei der Suche nach dem Perpetuum mobile, dem zunehmenden Wunsch der Menschen, die Welt zu beherrschen, indem sie die Geheimnisse ihrer Funktionsweisen erschlossen. Und sie offenbaren auf einer noch elementareren Ebene den Drang der Menschen, das Leben mit mechanischen Mitteln nachzuahmen, einen Drang, der den Grundstein gelegt hat für die Entwicklung der Automatisierung und der Kybernetik in unserer Zeit. Man kann sagen, dass sich die Vorstellung der Welt als Mechanismus, als zwar komplizierte und schwer zu begreifende, aber letztlich beherrschbare Maschine, um 1600 herauszubilden begann.
    Der Staat, den die Galeone symbolisiert, das Heilige Römische Reich, war durch seine schwerfälligen Verwaltungsstrukturen und durch Glaubensspaltungen geschwächt und steuerte stürmischen Gewässern entgegen. Im Osten von den Türken bedrängt, wurde er im Westen zunehmend überschattet von den Anrainerstaaten des Atlantik – von Portugal, Spanien, Frankreich, England und den Niederlanden. Diese Staaten machten sich die neue Schifffahrtstechnik zunutze und nahmen Beziehungen zum Rest der Welt auf, die ungeahnte Reichtümer in ihre Kassen spülen und am Ende das Machtgleichgewicht in Europa zum Kippen bringen sollten. Auf Schiffen wie unserer vergoldeten Galeone umsegelten Europäer die Erde und trafen auf Staaten und Reiche, deren Kultur sie in Staunen versetzte, mit denen sie Handel trieben, die sie oft nicht verstanden und die sie in manchen Fällen zerstörten. Diese Entdeckungsfahrten und Expeditionen haben die Welt, in der wir heute leben, wesentlich mit geprägt. Im nächsten Kapitel werde ich einen Blick auf den Teil der Welt werfen, den die Europäer mit ihren neuen Schiffen als Erstes erreichen konnten: Westafrika.

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Benin-Tafel: Der Oba mit Europäern
    Messingtafeln, aus Benin, Nigeria
1500–1600 n. Chr.
    Die britische Volkszählung 2001 ergab, dass in London einer von 20 Einwohnern afrikanische Wurzeln hatte, eine Zahl, die seither kontinuierlich angestiegen ist. Heute sind Leben und Kultur in Großbritannien auch von afrikanischen Einflüssen geprägt. Diese Entwicklung ist nur das neueste Kapitel in der Geschichte der Beziehung zwischen Afrika und

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