Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Europa, und die Benin-Bronzen, wie man sie zu nennen pflegte, nehmen in dieser bewegten Geschichte einen ganz besonderen Platz ein.
Die Tafeln, die im 16. Jahrhundert im Königreich Benin auf dem Gebiet des heutigen Nigeria gefertigt wurden, sind allerdings nicht aus Bronze, sondern aus Messing. Sie sind etwa so groß wie ein Din-A4-Papier, und darauf abgebildet sind Figuren im Hochrelief, die den Oba, den Herrscher von Benin, und seine Siege und höfischen Zeremonien feiern. Es sind nicht nur große Kunstwerke und ein Höhepunkt der Metallgießerei, sondern sie dokumentieren auch zwei prägnante Momente der euro-afrikanischen Begegnung – der erste von friedlichen Handelsbeziehungen, der zweite von blutigen Kriegen geprägt.
In diesen Kapiteln sehen wir uns Objekte an, die zeigen, wie Europa im 16. Jahrhundert weitere Teile der Welt entdeckte und mit ihnen Handel zu treiben begann. Die großartigen Tafeln bezeugen die Begegnung aus afrikanischer Sicht. Heute befinden sich einige hundert solcher Reliefplatten aus Benin im Besitz europäischer und US-amerikanischer Museen, und sie zeichnen ein bemerkenswertes Bild vom Gefüge dieses westafrikanischen Königreichs. Ihr Hauptthema ist die Verherrlichung des Oba und seiner Tapferkeit als Jäger und Krieger, aber sie erzählen uns auch, wie die Menschen in Benin ihre ersten europäischen Handelspartner sahen.
Das beherrschende Element unserer Tafel ist die majestätische Erscheinung des Oba selbst. Die Tafel ist quadratisch mit einer Seitenlänge von circa 40 Zentimetern und eher kupfer- als messingfarben. Abgebildet sind fünf menschliche Gestalten, drei Afrikaner und zwei Europäer. Am stärksten im Relief herausgearbeitet, blickt uns der Oba, auf seinem Thron sitzend und eine helmartige Krone auf dem Kopf, direkt ins Gesicht. Sein Hals ist von einer Reihe großer Ringe, die von den Schultern bis zur Unterlippe reichen, vollkommen verdeckt. Aufrecht in der Rechten hält er ein Zeremonialbeil. Rechts und links von ihm knien zwei hohe Würdenträger seines Hofs, ähnlich gekleidet wie der Oba, aber mit ein facherem Kopfschmuck und weniger Halsringen ausgestattet. Sie tragen einen mit kleinen Krokodilköpfen behängten Gürtel, das Zeichen derer, die berechtigt sind, mit Europäern Handel zu treiben – und im Hintergrund sind zwei winzige Europäer zu erkennen, von denen man nur Kopf und Schultern sieht.
Bei den Europäern handelt es sich um Portugiesen, die von den 1470er Jahren an auf dem Weg nach Süd- und Südostasien mit ihren Galeonen an der Westküste Afrikas entlang segelten, dabei aber auch durchaus begierig auf Pfeffer, Elfenbein und Gold aus Westafrika waren. Es waren die ersten Europäer, die vom Meer aus nach Westafrika kamen, und sie beeindruckten die Einheimischen mit ihren hochseetüchtigen Schiffen. Vor dieser Zeit war jeglicher Warenaustausch zwischen Westafrika und Europa über eine Reihe von Zwischenhändlern abgewickelt worden, die Güter mit Kamelen durch die Sahara transportierten. Die portugiesischen Schiffe, die Zwischenhändler überflüssig machten und eine viel größere Menge Waren an Bord nehmen konnten, öffneten dem Handel völlig neue Wege. Die Portugiesen und ihre niederländischen und englischen Konkurrenten, die später im 16. Jahrhundert hinzukamen, transportierten Gold und Elfenbein nach Europa und brachten im Austausch dafür Dinge nach Benin, die am Hof des Oba außerordentlich begehrt waren, darunter Korallen aus dem Mittelmeer, die als Zahlungsmittel verwendeten Kaurischnecken aus dem Indischen Ozean, Stoffe aus dem Fernen Osten und aus Europa solche Mengen an Messing, wie sie nie zuvor nach Westafrika gelangt waren. Das war das Material, aus dem in Benin die Reliefplatten gefertigt wurden.
Europäische Besucher waren unweigerlich beeindruckt von der Stellung desOba als geistiges und weltliches Oberhaupt des Königreichs, und die Messingtafeln aus Benin hatten vor allem die Funktion, ihn zu würdigen. Ähnlich wie Gobelins an europäischen Höfen wurden sie an die Wände seines Palasts genagelt, damit Besucher den Reichtum des Königreichs und die Leistungen seines Herrschers bewundern konnten. Ein niederländischer Reisender beschrieb im 17. Jahrhundert den Gesamteindruck des Palasts:
«Der königliche Hof ist quadratisch … Er ist aufgeteilt in eine Reihe prunkvoller Paläste, Häuser und Wohnungen für die Höflinge sowie wunderschöne, lange Wandelgänge, fast so groß wie die Amsterdamer Wechselbank, vom Dach bis
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