Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Todes und der Zerstörung … Derzeit sind wir in eine neue Phase eingetreten, in der Cook eine Art Rehabilitation erfährt. Er wird jetzt eher als eine Figur betrachtet, die uns eine australische Geschichte vermittelt, in der es um die Wechselbeziehung zwischen Aborigines und Außenstehenden geht. Manche Leute sprechen in diesem Zusammenhang von einer Geschichte der Begegnung. Aber ich glaube, dass Cook in Australien trotz alledem immer noch sehr kritisch gesehen wird, vor allem von der indigenen Bevölkerung.»
Der Borkenschild steht am Anfang einer Jahrhunderte währenden Geschichte der Missverständnisse, der Entrechtung und des Völkermords. Heute lautet diegroße Frage in Australien, wie eine sinnvolle Wiedergutmachung aussehen könnte und ob sie überhaupt möglich ist. In diesem Prozess spielen Objekte wie dieser Borkenschild, die einen Platz in den Museen Europas und Australiens haben, eine kleine, aber nicht unbedeutende Rolle. Im Rahmen von Forschungsprogrammen werden in Zusammenarbeit mit den indigenen Gemeinden erhaltene Artefakte untersucht und Mythen und Legenden, handwerkliche Fähigkeiten und Gebräuche dokumentiert, um einer Geschichte, die zum großen Teil verloren ist, das zu entlocken, was ihr noch zu entlocken ist. Unser Schild, der beim ersten Aufeinandertreffen zugegen war, könnte nun eine Rolle spielen in einem Dialog, der vor 250 Jahren nicht zustande kam.
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Bi-Scheibe aus Jade
Jadescheibe, aus Peking, China
Um 1200 v. Chr., mit einer Inschrift von 1790 n. Chr.
In den letzten vier Kapiteln ging es um das Streben der europäischen Aufklärung, neue Länder zu entdecken, zu kartographieren und zu begreifen. Das hier vorgestellte Objekt aus China stammt aus einer Zeit, als das chinesische Reich unter der Herrschaft der Qing-Dynastie, die 1644 die Ming-Dynastie abgelöst hatte und das Land bis ins frühe 20. Jahrhundert regieren sollte, seine eigene Aufklärung erlebte. Herrscher über das Qing-Reich war zu dieser Zeit – etwa gleichzeitig mit Georg III. in England – Qianlong, der beträchtliche Anstrengungen unternahm, die Welt über die Grenzen Chinas hinaus zu erforschen. Im Jahr 1756 beschloss er beispielsweise, die annektierten Gebiete in Asien kartographieren zu lassen, und sandte zu diesem Zweck eine multikulturelle Truppe – bestehend aus zwei im Kartenzeichnen geübten Jesuitenpatern, einem chinesischen Astronomen und zwei tibetischen Lamas – aus, die so wertvolle geographische Daten zusammentrug, dass die Kunde davon zusammen mit dem Ruhm des Kaisers um die Welt ging.
Auch das Objekt, das wir hier vorstellen, eine so genannte Bi-Scheibe aus Jade, verdankt seine Existenz in dieser Form dem kaiserlichen Wissensdurst, der in diesem Fall der chinesischen Vergangenheit galt. Als einfache Jadescheibe mit einem Loch in der Mitte, wie man sie häufig in alten chinesischen Gräbern findet, war dieses Objekt schon gut 3000 Jahre alt, als der Kaiser beschloss, sich näher damit zu befassen. Er nahm die schmucklose Bi-Scheibe und ließ sie über und über mit seinen eigenen Worten gravieren. Auf diese Weise machte er aus der frühzeitlichen Bi-Scheibe ein Objekt der chinesischen Aufklärung im 18. Jahrhundert.
Für die europäischen Aufklärer war China ein vorbildliches, von gebildeten Kaisern klug geführtes Staatswesen. Der Autor und Philosoph Voltaire schrieb 1764 in seinem Werk
Über den Geist und die Sitten der Nationen
, man müsse nicht besessen sein von den Leistungen und Errungenschaften der Chinesen, um anzuerkennen, dass ihr Reich das beste sei, das die Welt je gesehen habe. Jeder europäische Herrscher wollte sich ein Stück China an seinen Hof holen. So ließ beispielsweise Friedrich der Große im Schlosspark von Sanssouci einen chinesischen Pavillon bauen, und in den Kew Gardens wurde im Auftrag von Georg III. eine zehngeschossige chinesische Pagode errichtet.
In den 59 Jahren, in denen Kaiser Qianlong das chinesische Reich regierte – von 1736 bis 1795 –, verdoppelte sich die Bevölkerung, die Wirtschaft blühte, und der Staat erreichte mit einer Fläche von 12 Millionen Quadratkilometern die größte Ausdehnung seit 500 Jahren und damit in etwa die Größe, die er heute hat. Kaiser Qianlong war ein ambitionierter Herrscher, der sich gern damit brüstete, dass seine Eroberungszüge erfolgreicher waren als die seiner Vorgänger, und der für seine Qing-Dynastie in Anspruch nahm, den Rückhalt der himmlischen Mächte zu genießen – mit anderen Worten, der
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