Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
Annahme über Wesen und Funktion der Bi-Scheibe richtig lag, aber ich kann nicht umhin, seiner Vorgehensweise Beifall und Bewunderung zu zollen.
Teil XIX
Massenproduktion, Massenverführung
1780–1914
In der Zeit zwischen der Französischen Revolution
und dem Ersten Weltkrieg verwandelten sich
die europäischen Länder und die USA von agrarischen zu
industriellen Ökonomien. Gleichzeitig wurden ihre Imperien
überall auf der Welt immer größer und lieferten viele der Rohstoffe
sowie die Märkte, die diese boomenden Industrien benötigten. Letztlich
waren ganz Asien und Afrika gezwungen, Teil der neuen ökonomischen und
politischen Ordnung zu werden. Technologische Innovationen führten zur
massenhaften Produktion von Waren und zu einer Zunahme des internationalen
Handels: Konsumgüter, die bisher Luxuswaren gewesen waren wie
etwa Tee, wurden nun auch für die breite Masse der Bevölkerung
erschwinglich. In vielen Ländern kämpften Massenbewegungen für
politische und soziale Reformen, unter anderen für das Wahlrecht für
alle Männer und Frauen. Nur einem einzigen nichtwest lichen
Land, nämlich Japan, gelang – wenn auch unbeabsichtigt
– die Modernisierung, und es wurde zu einer eigenständigen
Imperialmacht.
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Schiffschronometer von der HMS Beagle
Messingchronometer, aus England
1800–1850
Warum misst die ganze Welt ihre Zeit und bestimmt ihre Position im Verhältnis zum Meridian von Greenwich, einer Linie, die einen Punkt an den Ufern der Themse im Südosten Londons passiert? Die Antwort auf diese Frage nimmt ihren Anfang mit der Erfindung einer Marineuhr in London, mit der Seeleute die geographische Länge bestimmen konnten. Bei dem hier abgebildeten Objekt handelt es sich um eine dieser Längenuhren – ein Marinechronometer, das um 1800 herum angefertigt wurde –, die selbst bei schwerer See exakt die Zeit anzeigten.
Im Verlauf des «langen» 19. Jahrhunderts, also der Zeit zwischen der Französischen Revolution und dem Ersten Weltkrieg, verwandelten sich die Länder Westeuropas und die USA von agrarisch geprägten Gesellschaften zu industriellen Kraftzentren. Diese Industrielle Revolution zog viele weitere Revolutionen nach sich. Neue Technologien führten erstmals zur massenhaften Produktion von Luxusgütern: Zu Hause gaben sich die Gesellschaften eine neue politische Organisation, während sich die Imperien in den Überseegebieten ausdehnten, um sich Rohstoffe und neue Märkte zu sichern. Technologische Fortschritte führten aber auch zu Revolutionen im Denken: So ist es beispielsweise kaum übertrieben, wenn man behauptet, im 19. Jahrhundert habe sich die gesamte Vorstellung von Zeit verändert und in der Folge auch unsere Vorstellung von uns selbst und vom angemessenen Ort der Menschheit in der Geschichte.
Im 17. und 18. Jahrhundert war die Uhrmacherei eine wichtige europäische Technik, und eine führende Rolle spielte in diesem Gewerbe London. Als Seefahrernation standen die Briten insbesondere vor einem Problem: Sie konntenUhren produzieren, die die Zeit sehr exakt anzeigten, solange sie vollkommen ruhig standen, nicht aber, wenn man sie schüttelte, und schon gar nicht an Bord eines schlingernden Schiffes. Wollte man zur See fahren, war es also unmöglich, die Zeit präzise festzuhalten. Und wenn man auf See die Zeit nicht genau bestimmen kann, weiß man nicht, wie weit östlich oder westlich man sich befindet. Zwar ist es relativ leicht, die geographische Breite – also die eigene Entfernung nördlich oder südlich des Äquators – zu bestimmen, indem man misst, wie hoch die Sonne zur Mittagszeit über dem Horizont steht; damit hat man aber noch nicht die geographische Länge – also die eigene Position in Ost-West-Richtung.
Geknackt wurde das Problem der Ganggenauigkeit auf See schließlich Mitte des 18. Jahrhunderts von John Harrison; er erfand eine Uhr – ein Marinechronometer –, die selbst bei Schwankungen der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit und bei konstanter Bewegung eines Schiffes exakt weiterlief und es Schiffen erstmals ermöglichte, überall ihre geographische Länge zu bestimmen. Bevor ein Schiff in See stach, wurde sein Chronometer auf die Ortszeit im Hafen eingestellt – für die Briten war das üblicherweise Greenwich. Auf See konnte man dann die Zeit von Greenwich mit der Mittagszeit an Bord des Schiffes vergleichen, die man anhand der Sonne ermittelte; die Differenz zwischen beiden Zeiten ergab dann die geographische Länge. Der Tag hat bekanntlich
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