Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
hatte natürlich keine Ahnung von den Sitten und Bräuchen der Australier – konnte sie als Europäer auch gar nicht haben –, und so waren die Gelegenheiten zu Missverständnissen bei dieser ersten Begegnung nahezu grenzenlos. Rückblickend kann man sagen, dass vermutlich keine der beiden Seiten die Absicht hatte, die anderen zu töten. Die Einheimischen warfen mit Steinen undSpeeren, trafen aber niemanden. Angesichts der Tatsache, dass sie Jäger und Sammler waren, für die es lebenswichtig war, mit dem Speer geschickt umgehen zu können, liegt die Vermutung nahe, dass ihr Angriff nur eine Warnung war – eine Aufforderung an die Fremden, schleunigst wieder zu verschwinden und sie in Ruhe zu lassen. Cook seinerseits rechtfertigt die Gewehrschüsse auf die Beine der Aborigines damit, dass er befürchtet habe, die Speerspitzen könnten vergiftet sein. Als die Einheimischen die Flucht ergriffen, erkundeten Cook und seine Männer die umliegenden Wälder:
«Hier stießen wir auf einige kleine Hütten aus Baumrinde, und in einer davon hielten sich vier oder fünf kleinere Kinder auf, für die wir ein paar Perlenketten usw. zurückließen …»
Cook hatte auf seiner Reise festgestellt, dass Tauschgeschäfte und Geschenke die einfachste Methode waren, friedliche Beziehungen zu den Einheimischen aufzunehmen und eine Vorstellung von den Strukturen und Gewohnheiten ihrer Gesellschaft zu gewinnen. Doch in diesem Fall bestand kein Interesse an seinen Gaben. Als er am nächsten Morgen zurückkam,
«lagen die Perlenketten usw., die wir am Vortag für die Kinder dagelassen hatten, auf dem Boden der Hütte; wahrscheinlich hatten die Eingeborenen Angst, sie mitzunehmen.»
Vielleicht waren sie aber auch eher desinteressiert als furchtsam – oder sie wollten sich, genauer gesagt, nicht mit den Fremden einlassen, weil sie dann eine Verpflichtung eingegangen wären, die sie nicht haben wollten. Es ist nicht so, dass die Leute keinen Handel getrieben hätten – sie wickelten Tauschgeschäfte über weite Strecken ab, wie unser Schild selbst bezeugen kann. Das Mangrovenholz, aus dem er gemacht ist, stammt von Bäumen, die etwa 200 Kilometer nördlich von Sydney heimisch sind. Um dieses Holz zu beschaffen, müssen die Leute aus der Botany Bay mit anderen indigenen australischen Stämmen Handel getrieben haben.
Als direkte Begegnungen und der Austausch von Geschenken ausblieben, gab Cook auf und segelte, nachdem er mit seinen Männern eine Woche lang Pflanzen gesammelt hatte, an der Küste entlang weiter Richtung Norden. Als er die NordspitzeAustraliens erreicht hatte, erklärte er die gesamte Ostküste offiziell zu britischem Besitz.
«Nun hisste ich noch einmal die englische Flagge und nahm im Namen seiner Majestät König Georgs des Dritten die gesamte Ostküste unter dem Namen Neusüdwales in Besitz … worauf wir drei Salven aus unseren Gewehren abfeuerten, die vom Schiff aus mit der gleichen Anzahl an Salven beantwortet wurden.»
Das entsprach nicht Cooks üblichem Verhalten, wenn es um Land ging, das bereits bewohnt war. Normalerweise achtete er, wie beispielsweise auf Hawaii, die Rechte der angestammten Bewohner an ihrem Land. Vielleicht begriff er nicht, wie eng die australischen Ureinwohner mit ihrem Kontinent verbunden waren und wie gründlich sie ihn beherrschten. Wir wissen nicht, was ihn zu diesem folgenschweren ersten Akt der Zwangsenteignung bewegte. Kurz nach der Rückkehr von ihrer Expedition empfahlen Banks und andere dem britischen Parlament, in der Botany Bay eine Strafkolonie zu errichten, und läuteten damit die lange, tragische Geschichte ein, die für viele australische Ureinwohner das Ende ihres Stammeslebens bedeutete.
Die Historikerin Maria Nugent hat sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Cooks Bild in den Augen der Australier von damals bis heute verändert hat:
«In der australischen Geschichtsschreibung wird Cook weitgehend als Wegbereiter der Besiedelung und damit als Gründervater dargestellt. Was in gewisser Weise die Tatsache außer Acht lässt, dass vor ihm schon andere Europäer Australien ‹entdeckt› und teilweise kartographiert hatten. Aber als Brite nahm er eine Sonderstellung ein, weil wir eine britische Kolonie wurden. Und diese Sicht der Dinge hielt sich ziemlich lange, bis in die 1960er und 1970er Jahre, als Vertreter der Aborigines anfingen, vernehmlich und öffentlich Kritik an der Rolle Cooks als Gründervater zu üben. Sie sehen ihn als Symbol der Kolonialisierung, des
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