Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
in den Regalen, man musste extra danach fragen.»
Die 14 Gedichte, die Hockney dann für seine Radierungen auswählte, Gedichte über Sehnsucht und Verlust, über die erste Begegnung zweier künftiger Liebender und über berauschende und leidenschaftliche Liebe waren sowohl Stoff für seine eigene künstlerische Arbeit als auch ein Beispiel dafür, wie ein Künstler aus einer so privaten Erfahrung eine öffentliche Aussage machen kann. Hockney, derin seinem aufgeschlossenen Elternhaus gelernt hatte, seinen eigenen Weg zu gehen und sich keine Gedanken darum zu machen, wie die Nachbarn über ihn dachten, hielt es quasi für seine Pflicht, durch seine Kunst für seine eigenen Rechte und für die Rechte anderer einzutreten, die so waren wie er. Er ging, typisch für ihn, mit leichter Hand an die Sache heran. Seine Radierungen mahnen nicht, sie lachen und sie singen.
«Man darf nicht vergessen, dass diese Bilder für ein Thema warben, für das noch nie Werbung gemacht worden war, schon gar nicht unter Studenten: Homosexualität. Ich hielt es für richtig. Es war ein Teil von mir; es war ein Thema, an das ich mit Humor herangehen konnte.»
Die Rechte der Homosexuellen waren natürlich nur eine der vielen Freiheiten, für die in den 1960er Jahren gestritten wurde, aber in der allgemeinen Menschenrechtsdebatte nahmen sie eine Sonderstellung ein. Bei diesen ging es um die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion oder ihrer Rasse, und nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte weitgehend Einigkeit darüber, dass eine solche Diskriminierung falsch sei. Die sexuelle Orientierung und das Sexualverhalten hingegen waren eine ganz andere Sache – sie fanden in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die 1948 von den Vereinten Nationen angenommen und verkündet wurde, nicht einmal Erwähnung. Hockney und seine Weggefährten änderten das schließlich, indem sie in Europa und in den Vereinigten Staaten das Thema der sexuellen Orientierung in die allgemeine Menschenrechtsdebatte einbrachten. In manchen Ländern bewirkten sie mit ihrem Kampf, dass die Gesetze geändert wurden, aber in vielen Teilen der Welt wird sexuelles Verhalten, das von der allgemein anerkannten Norm abweicht, noch immer als Verstoß gegen religiöse Vorschriften oder als Gefahr für die Gesellschaft angesehen und als kriminelle Handlung bestraft – schlimmstenfalls mit dem Tod.
2008 hatte die Generalversammlung der Vereinten Nationen über den Entwurf einer Erklärung zu entscheiden, in der das Töten, Foltern und willkürliche Inhaftieren von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität verurteilt werden sollte. Die Erklärung wurde von mehr als 50 Ländern gebilligt, aber es folgte prompt eine Gegenerklärung, und das Problem ist bis heute ungelöst.
Hockneys Radierung ist von beeindruckender Kargheit. Ein paar schwarze Linien deuten hier eine Wand, da eine Decke an. Nichts gibt uns einen Hinweis darauf, wo dieses Bett steht. Wir wissen nicht einmal, ob beide Männer real sind oder ob der eine nur ein Traum des anderen ist. Dieses betont vage gehaltene Bild erinnert uns daran, dass Sexualverhalten, so privat es sein mag, doch auch etwas durch und durch Universelles ist. Der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema ist es dagegen eindeutig nicht. Auch 40 Jahre später werden die Grenzen der Menschenrechte noch in blutigen Auseinandersetzungen verhandelt: Unsere Welt ist längst nicht so global, wie wir gerne behaupten.
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Waffenthron
Aus Waffenteilen zusammengebauter Stuhl, aus Maputo, Mosambik
2001 n. Chr.
Zum ersten Mal haben wir in dieser Geschichte ein Objekt vor uns, das ein Dokument des Krieges ist, diesen oder den Herrscher, der ihn geführt hat, aber nicht verherrlicht. Der Waffenthron ist ein Stuhl – oder ein Thronsitz – aus Teilen von Waffen, die irgendwo in der Welt hergestellt und dann nach Afrika verkauft wurden. War das 19. Jahrhundert vor allem durch die Entwicklung von Massenmärkten und Massenkonsum gekennzeichnet, so kann man das 20. Jahrhundert als das Jahrhundert der Kriege und des Massentötens bezeichnen: die beiden Weltkriege, die Stalin’schen Säuberungen, der Holocaust, Hiroshima, die Vernichtungslager der Roten Khmer, Ruanda – die Liste ließe sich fortsetzen. Wenn es in all diesem Schrecken etwas Positives zu verzeichnen gibt, dann die Tatsache, dass das 20. Jahrhundert wie kein anderes vor ihm das Leid der Opfer – der Soldaten und Zivilisten,
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