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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Skelett, dem das Cape umgelegt war, weggeworfen, als man das Gold entdeckte, da es keinerlei finanziellen Wert hatte. Wenn ich mir den goldenen Schulterkragen aus Mold heute so anschaue, überkommen mich ganz unterschiedliche Empfindungen: einerseits Freude und Erleichterung darüber, dass ein so großartiges Kunstwerk überlebt hat, und andererseits Frust und Verzweiflung, dass das dazugehörige Material völlig achtlos weggeworfen wurde, denn es hätte uns so viel erzählen können über diese große und geheimnisvolle Kultur, die damals, vor 4000 Jahren, im Norden von Wales ihre Blütezeit erlebte.
    Aus diesem Grund sind Archäologen heute über illegale Grabungen so empört. Zwar bleiben die wertvollen Funde gewöhnlich erhalten, doch der Kontext, aus dem heraus sie erst verständlich werden, wird zerstört; dabei macht erst dieses «Kontextmaterial» – das aus finanzieller Sicht oft völlig wertlos ist – aus einem Schatz Geschichte.

20
Statue von Ramses II.
    Granitbüste, gefunden in Theben (nahe Luxor), Ägypten
Um 1250 v. Chr.
    Im Jahr 1818 ließ sich der britische Dichter Percy Bysshe Shelley von einer monumentalen Figur im Britischen Museum zu seinen wohl bekanntesten Versen inspirieren:
    «‹Mein Name ist Osymandias, aller Kön’ge König: –
Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!›»
    In Wirklichkeit ist Shelleys Osymandias unser Ramses II., König von Ägypten von 1279 bis 1213 v. Chr. Sein riesiges Haupt blickt mit gelassen gebieterischem Gesichtsausdruck aus großer Höhe auf die Besucher herab und dominiert den Raum um sich herum.
    Als die Skulptur in England eintraf, war sie die bei weitem größte ägyptische Statue, welche die britische Öffentlichkeit je gesehen hatte, und sie war das erste Objekt, das dem Betrachter eine Vorstellung davon vermittelte, welch kolossale Leistung die Ägypter vollbracht hatten. Allein der Oberkörper ist rund zweieinhalb Meter hoch und wiegt gut sieben Tonnen. Wie noch keiner vor ihm wusste dieser König, welche Macht Größe ausstrahlt, wie viel Ehrfurcht sie einflößen kann.
    Ramses II. herrschte erstaunliche 66 Jahre lang über Ägypten, seine Regierungszeit gilt als goldenes Zeitalter der Prosperität und imperialen Machtentfaltung. Er hatte Glück – er wurde über neunzig Jahre alt, zeugte rund einhundert Kinder, und während seiner Herrschaft sorgten die Nilfluten in schöner Regelmäßigkeit für eine Rekordernte nach der anderen. Er leistete aber auch Außerordentliches. Kaum hatte er 1279 v. Chr. den Thron bestiegen, unternahm er FeldzügeRichtung Norden und Süden, er überzog das Land mit Monumenten und galt als dermaßen erfolgreicher Herrscher, dass nach ihm neun weitere Pharaonen seinen Namen trugen. Noch zu Zeiten von Kleopatra, also mehr als ein Jahrtausend später, wurde er als Gott verehrt.

    Ramses war ein begnadeter Selbstdarsteller, und noch dazu ein völlig hemmungsloser. Um Zeit und Geld zu sparen, ließ er kurzerhand die Inschriften auf bereits bestehenden Skulpturen ändern, so dass sie fortan seinen Namen trugen und seine Leistungen priesen. Überall in seinem Königreich errichtete er zudem riesige neue Tempelanlagen, wie etwa die von Abu Simbel, die in die Felswände des Niltals hineingehauen wurden. Die dort in den Fels gehauene Kolossalstatue von sich selbst fand später viele Nachahmungen, wie nicht zuletzt die riesigen Porträtköpfe der US-Präsidenten in Mount Rushmore zeigen. Im hohen Norden des Landes, wo man es mit den benachbarten Mächten des Nahen Ostens und des Mittelmeerraums zu tun hatte, gründete er eine neue Hauptstadt, die er ganz unbescheiden Pi-Ramesse Aa-nakhtu nannte, «Haus des Ramses II., groß an Siegen». Eine der Leistungen, auf die er am stolzesten war, war der Memorialkomplex in Theben, in der Nähe des heutigen Luxor. Es handelte sich dabei nicht um eine Grabstätte, in der er bestattet werden würde, sondern um eine Tempelanlage, wo er zu Lebzeiten verehrt und dann bis in alle Ewigkeit als Gott angebetet werden sollte. Das Ramesseum, wie es heute heißt, umfasste eine Fläche von gut vier Fußballfeldern und enthielt einen Tempel, einen Palast und Schatzkammern.
    Dort gab es zwei Vorplätze, und unsere Statue saß am Eingang zum zweiten. Doch so prächtig diese Statue auch ist, so war sie doch nur eine von vielen – Ramses war in der gesamten Anlage immer und immer wieder dargestellt, eine multiple Zurschaustellung monumentaler Macht, die auf die dortigen Staatsdiener und Priester

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