Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
von ihm fasziniert. Um 1800 wetteiferten die damals konkurrierenden und dominierenden Mächte im Nahen Osten, nämlich Frankreich und England, darum, sich das Bildnis des Ramses zu sichern. Napoleons Männer versuchten die Statue 1798 aus dem Ramesseum zu entfernen, mussten ihr Vorhaben jedoch aufgeben. Direkt über der Brust ist ein etwa tennisballgroßes Loch in den Torso gebohrt, das nach Expertenmeinung von damals stammt. 1799 wurde die Statue zerschlagen.
1816 gelang es dann schließlich, die Büste fortzuschaffen, und zwar bezeichnenderweise einem Antiquitätenhändler, der früher einmal als Kraftprotz Samson in einem Zirkus gearbeitet hatte. Er hieß Giovanni Battista Belzoni und beschäftigte Hunderte von Arbeitern, welche die Statue mit Hilfe eines speziellen Hydrauliksystems auf hölzernen Rollen an Seilen bis zum Ufer des Nils zogen, also fast die gleiche Methode anwandten, mit der die Statue damals ins Ramesseum befördert worden war. Es belegt eindrucksvoll die Leistungen des Ramses,dass es 3000 Jahre später schon als technische Großtat galt, nur die halbe Statue vom Fleck zu bewegen. Belzoni verlud die Büste dann auf ein Schiff, und die bedeutsame Fracht wurde über Kairo und Alexandria nach London gebracht. Bei ihrer Ankunft geriet jeder, der die Statue sah, in großes Erstaunen, und die Sicht von uns Europäern auf die Geschichte unserer Kultur begann sich von Grund auf zu ändern. Der Ramses im Britischen Museum stellte als eines der ersten Werke lange gehegte Überzeugungen in Frage, wonach bedeutende Kunst erstmals in Griechenland entstanden sei.
Der Erfolg des Ramses beruhte nicht nur darauf, dass er die Vorherrschaft und Überlegenheit des ägyptischen Staates sicherte, indem er die Handelsnetze und Steuersysteme des Landes mit ruhiger Hand lenkte, sondern auch, dass er die üppigen Erträge für den Bau zahlloser Tempelanlagen und Monumente verwendete. Er wollte ein Vermächtnis schaffen, das allen Generationen seine ewige Größe verkünden sollte. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass seine Statue heute für das genaue Gegenteil steht.
Shelley kamen Berichte über die Entdeckung der Büste und ihren Transport nach England zu Ohren. Besonders fasziniert lauschte er den Erzählungen von ihrer kolossalen Größe, aber er wusste auch, was nach Ramses mit Ägypten geschehen war – die Herrschaft hatten Libyer und Nubier, Perser und Makedonier übernommen, und um die Ramses-Statue hatten sich erst jüngst die europäischen Eindringlinge gezankt. Es ist in der Tat wohl so, dass Skulpturen überdauern und das Leben abstirbt; Shelleys Gedicht «Osymandias» handelt nicht von imperialer Größe, sondern von der Vergänglichkeit irdischer Macht, und die Statue des Ramses wird darin zu einem Symbol für die Vergeblichkeit allen menschlichen Tuns:
«‹Mein Name ist Osymandias, aller Kön’ge König: –
Seht meine Werke, Mächt’ge, und erbebt!›
Nichts weiter blieb. Ein Bild von düstrem Grame,
Dehnt um die Trümmer endlos, kahl, eintönig
Die Wüste sich, die den Koloss begräbt.»
Teil V
Alte Welt, neue Mächte
1100–300 v. Chr.
Um 1000 v. Chr. entstanden in
verschiedenen Teilen der Welt neue Mächte,
welche die bestehende Ordnung beiseite fegten und
ihre eigene errichteten. Krieg wurde nunmehr in ganz
neuen Dimensionen geführt. Ägypten wurde von seinen
ehemaligen Untertanenvölkern im Sudan attackiert; im Irak
schuf eine neue Militärmacht, die Assyrer, ein Reich, das schließlich
einen Großteil des Nahen und Mittleren Ostens umfasste; und
in China stürzte eine Gruppe von Außenseitern, die Zhou, die seit
langem bestehende Shang-Dynastie. Auch im ökonomischen
Verhalten gab es grundlegende Veränderungen: Sowohl auf dem
Gebiet der heutigen Türkei als auch in China verwendete man
zum ersten Mal Münzgeld, was zu einem rasanten
Anwachsen der Wirtschaftstätigkeit führte. Gleichzeitig
entstanden, weitgehend autark, in Südamerika die
ersten Städte und komplexe Gesellschaften.
Die Bevölkerung von Lachisch wird von den Assyrern ins Exil geführt.
21
Das Lachisch-Relief
Steintafeln, gefunden im Palast von König Sanherib,
Ninive (in der Nähe von Mosul), Nordirak
700–692 v. Chr.
Um 700 v. Chr. hatten die Assyrer vom Norden des Irak aus ein Reich errichtet, das sich von Iran bis Ägypten erstreckte und den überwiegenden Teil des heutigen Nahen und Mittleren Ostens umfasste. Man könnte sogar behaupten, dass damit überhaupt erst die Vorstellung vom Nahen Osten als
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