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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Bronzeobjekte gewesen sein. Besonders intensiv wurde die Mine von Great Orme in der Zeit zwischen 1900 und 1600 v. Chr. genutzt. Jüngste Analysen der Goldgewinnungstechniken und der Verzierung des Capes datieren die Bestattung in diese Zeit. Zwar bleiben uns nur Vermutungen, aber es ist doch sehr wahrscheinlich, dass die Träger dieses außergewöhnlichen Objekts in irgendeiner Weise mit der Mine zu tun hatten, die großen Reichtum eingebracht haben dürfte und ein wichtiges Handelszentrum für den gesamten Nordwesten Europas bildete. Aber kam das Gold für den Schulterkragen ebenfalls von weit her?
    Mary Cahill vom National Museum Irlands meint dazu:
    «Das ist eine der großen Fragen: Woher stammte das Gold? Wir wissen einiges über die frühen Kupferquellen, aber beim Gold ist es naturgemäß so – vor allem wenn es aus Bächen oder Flüssen stammt, und die frühen Abbaustätten konnten wirklich mit einer einzigen Flutwelle hinweggespült werden –, dass die genauen Herkunftsorte nur ganz schwer zu bestimmen sind. Wir konzentrieren uns deshalb eher auf die Art des Golderzes und die Objekte und versuchen, beides in Beziehung zueinander zu setzen in der Hoffnung, dass uns das zum richtigen geologischen Hintergrund, zum richtigen geologischen Umfeld führt, in dem sich das Gold tatsächlich gebildet hat. Mittels intensiver Feldforschung, so hoffen wir, können wir dann eine Goldmine aus der frühen Bronzezeit lokalisieren.
    Es muss eine sehr üppige Goldquelle gegeben haben, denn die verwendete Menge an Gold ist für die damalige Zeit ungewöhnlich groß. Das Gold muss über einen langen Zeitraum hinweg gesammelt worden sein. Das Objekt selbst ist ausgesprochenkunstvoll gearbeitet. Das gilt nicht nur für die Verzierung, sondern schon für seine Form als solche, die ja auf die Schulter passen musste – wir müssen uns das so vorstellen, dass der Goldschmied sich hinsetzen und die Passform wirklich im Voraus ausarbeiten musste: Wie sollte er das Goldblech formen – per se schon eine sehr anspruchsvolle Sache –, wie sollte er es anschließend verzieren und wie sollte er das Ganze abschließend so hinbekommen, dass daraus ein Schulterkragen wurde? Das zeigt deutlicher als alles andere, über welch große Fertigkeiten und über welches Gespür für Design dieser Goldschmied verfügte.»
    An der fachlichen Kompetenz des Herstellers gibt es also keine Zweifel, doch über die Person, die dieses Cape getragen hat, wissen wir so gut wie nichts. Das Objekt selbst liefert nur wenige Hinweise. Es verfügte vermutlich über ein Futter, vielleicht aus Leder, das Brust und Schultern des Trägers bedeckte. Das Cape ist ausgesprochen zerbrechlich und hätte die Bewegungsfreiheit von Armen und Schultern dermaßen eingeschränkt, dass es nur sehr selten getragen worden sein kann. Es gibt aber immerhin eindeutige Zeichen, dass es benutzt wurde: So weist es beispielsweise oben und unten Löcher auf, mit denen man es an der Kleidung befestigen konnte; es kann also sein, dass es über einen langen Zeitraum hinweg immer nur für bestimmte Feierlichkeiten hervorgeholt wurde.
    Wer aber hat es getragen? Für einen mächtigen Kriegsfürsten ist das Cape zu klein. Es passt allenfalls einer schlanken, kleinen Person – einer Frau oder, wahrscheinlicher sogar, einem Jugendlichen. Die Archäologin Marie Louise Stig Sørensen erläutert, welche Rolle junge Menschen in diesen frühen Gesellschaften spielten:
    «In der frühen Bronzezeit wurden nur wenige Menschen älter als 25 Jahre. Die meisten Kinder starben vor Erreichen des fünften Lebensjahrs. Viele Frauen starben bei der Geburt eines Kindes, und nur ganz wenige wurden sehr alt; diese sehr alten Menschen dürften innerhalb der Gesellschaft eine ganz besondere Stellung eingenommen haben.
    Es ist wirklich schwer zu sagen, ob sich unsere Vorstellung von Kindheit auf diese Gesellschaft übertragen lässt, wo man angesichts des Durchschnittsalters der Gemeinschaften recht rasch zu einem erwachsenen Mitglied der Gruppe wurde, auch wenn man erst zehn Jahre alt war. Das würde bedeuten, dass die meisten Menschen damals Jugendliche waren.»
    Das stellt unsere heutigen Vorstellungen von Alter und Verantwortung in Frage. In vielen Gesellschaften der Vergangenheit konnten Jugendliche Eltern, vollwertige Erwachsene, Anführer sein. Vielleicht wurde unser Cape also von einer jungen Person getragen, die bereits über beträchtliche Macht verfügte. Leider wurde das wichtigste Beweisstück, das

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