Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
zuwenden.
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Krüge aus Basse-Yutz
Bronzekrüge, gefunden in Lothringen, im Nordosten Frankreichs
Um 450 v. Chr.
Wir verfügen über keinerlei schriftliche Zeugnisse dieser Menschen, die vor 2500 Jahren im Norden Europas lebten; sie werden von den Griechen kurz und eher abfällig erwähnt, aber ihre Version der Geschichte kennen wir nicht. Wirklich etwas erfahren können wir über diese Menschen – unsere unmittelbaren Nachbarn und für einige von uns die Vorfahren – nur durch die Dinge, die sie hinterlassen haben. Hier verfügen wir glücklicherweise über einiges Material, darunter diese beiden wunderbaren Weinkrüge, die eine Art Schlüsselobjekt darstellen, um diese frühe Gesellschaft im nördlichen Europa zu verstehen.
Sie wurden im Nordosten Frankreichs gefunden, in Lothringen, in der Nähe des Städtchens Basse-Yutz und tragen deshalb den Namen Basse-Yutz-Krüge bzw. -Kannen. Sie sind aus Bronze, elegant geformt und kunstvoll verziert. Sie haben in etwa die Größe einer Magnum-Flasche Wein und Platz für die entsprechende Menge Flüssigkeit, doch von der Form her sehen sie aus wie große Kannen mit Henkel, Deckel und sehr spitzem Ausguss. Oben sind sie relativ breit und verjüngen sich nach unten hin zu einem schmalen, relativ instabilen Boden. Doch was sofort ins Auge sticht, ist die außergewöhnliche Verzierung des Deckels, auf dem Tiere und Vögel sich kunstvoll gruppieren, und das muss jedem aufgefallen sein, der diese erstaunlichen Objekte benutzt hat.
Auf diese reich verzierten Krüge stießen Arbeiter 1927 bei Grabungen in Basse-Yutz. Etwas Ähnliches hatte man nie zuvor in Westeuropa gefunden, und die Tatsache, dass ihr Stil und ihre Verzierung so fremd waren, verleitete viele Experten zu der Annahme, es handle sich um Fälschungen. Doch die Kuratoren des Britischen Museums waren überzeugt, dass sie wirklich antik waren unddass sie ein neues, unbekanntes Kapitel in der europäischen Geschichte repräsentierten. Also erwarb man die beiden Krüge für die damals enorm hohe Summe von 5000 britischen Pfund. So viel Geld für eine derartige Erwerbung auszugeben bedeutet einen hohen Einsatz an kuratorischem Wissen, doch in diesem Falle zahlte er sich aus, und die Forschung seither hat bestätigt, dass sie in der Tat vor rund 2500 Jahren angefertigt wurden, das heißt in etwa zu der Zeit, als in Griechenland der Parthenon erbaut wurde, als sich das Perserreich auf dem Höhepunkt seiner Machtentfaltung befand und Konfuzius in China lehrte. Heute gelten die beiden Krüge aus Basse-Yutz als die bedeutendsten und ältesten Zeugnisse keltischer Kunst.
In Nordeuropa gab es damals, um das Jahr 450 v. Chr., keine Städte, keine Staaten oder Imperien, keine Schrift und kein Münzwesen. Von der russischen Steppe bis zum Atlantik gab es lediglich kleine Gemeinschaften von Bauernkriegern, die über Tausende von Kilometern durch Handel, Tausch und häufig auch Krieg miteinander verbunden waren. Die meisten führten ein prekäres Dasein, doch für die Oberen dieser Gesellschaft, im Rheinland der Eisenzeit, konnte das Leben damals durchaus sehr glamourös sein. Die schicksten Gräber in der Gegend, wo die Krüge gefunden wurden, enthielten Prunk- und Streitwagen, Seidengehänge, exotische Hüte, Schuhe und Kleidungsstücke – und natürlich alles, was man brauchte, um Partys zu schmeißen. Der Tod sollte diese Nordeuropäer nicht von ihrem guten Leben abhalten, und so finden sich in den Gräbern jede Menge Trinkgefäße – Schalen und Kessel, Trinkhörner und Krüge.
Viele dieser Objekte müssen von jenseits der Alpen «importiert» worden sein; es finden sich griechische Töpfe und Gefäße und zahlreiche Krüge aus den Etruskerstädten Norditaliens. Die Besitzer der Basse-Yutz-Krüge als «nouveaux riches» der Eisenzeit zu bezeichnen – als Nordländer, die unbedingt Gegenstände aus dem Mittelmeerraum benutzen wollten, um ihren guten Geschmack und ihre Ambitionen zu demonstrieren – wäre vorschnell und würde in die Irre führen. Diese Sichtweise, die zuerst von griechischen Autoren propagiert und später dann von den Römern übernommen wurde, schuf das Stereotyp vom ungehobelten Nordeuropa, das nichts lieber tut, als den kultivierten Süden zu bewundern. Dieses Stereotyp reicht mehr als zweieinhalb Jahrtausende zurück und bestimmt noch heute die Art und Weise, wie Europäer aus dem Mittelmeerraum über denNorden denken – und sogar, wie der Norden über sich selbst denkt. Dieser Mythos hat,
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