Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
der Gegend, in der sich im 5. Jahrhundert v. Chr. die keltische Kunst entwickelte und die grob gesprochen vom Osten Frankreichs bis Süddeutschland reichte, sprachen die Menschen offenbar schon seit langem Keltisch.»
Die Menschen, die wie heute Kelten nennen, lebten weit westlich des Rheins, wo unsere Krüge herstammen – in der Bretagne, in Wales, Irland und Schottland –, doch in diesen keltischen Ländern finden wir überall künstlerische Traditionen, in denen die Verzierung der Basse-Yutz-Krüge anklingt. Was seit dem 19. Jahrhundert als keltische Kunst bezeichnet wird, verbindet unsere beiden kunstvoll verzierten Krüge mit den Keltenkreuzen, dem Book of Kells und den Lindisfarne Gospels, die mehr als 1000 Jahre später in Irland und England entstanden sind. Anhand von Metallarbeiten und Steinreliefen, Einlegearbeiten und Handschriftenmalerei lässt sich das Vermächtnis einer «Kunstsprache» zurückverfolgen, die in einem Großteil West- und Mitteleuropas und auch auf den Britischen Inseln gepflegt wurde.
Diese Traditionslinie lässt sich freilich nicht so einfach deuten. Das Problem, die alten Kelten zu verstehen, besteht darin, dass wir es mit einem griechischen Stereotyp aus dem 5. vorchristlichen Jahrhundert zu tun haben, das durch ein britisches und irisches aus dem 19. Jahrhundert überlagert und verschärft wird. Die Griechen zeichneten ein Bild der «keltoi» als barbarisches, gewalttätiges Volk. An die Stelle dieses antiken Klischees trat dann vor gut 200 Jahren die gleichermaßen konstruierte Vorstellung von einer grüblerischen, mystischenkeltischen Identität, die weit entfernt war von der gierigen Nüchternheit der angelsächsischen Industriegesellschaft – das romantisch verklärte «Celtic Twilight» eines Ossian oder Yeats. Im 20. Jahrhundert beeinflusste es insbesondere die Ausbildung einer irischen Identität. Seither hat das Keltischsein auch anderswo, insbesondere in Schottland und Wales, weitere Konnotationen bekommen, die so etwas wie eine nationale Identität konstruieren sollen.
Die Vorstellung von einer keltischen Identität wird zwar heute von vielen gern gepflegt und lautstark artikuliert, erweist sich bei näherer Betrachtung jedoch als schwer fassbar, schwammig und changierend. Betrachtet man Objekte wie unsere beiden Basse-Yutz-Krüge, so besteht die eigentliche Herausforderung darin, wie man diese verzerrenden Dunstschleier nationalistischer Mythologisierung durchbrechen und die Objekte so klar wie möglich zum Sprechen bringen kann – zum Sprechen über ihren eigenen Ort und ihre eigene ferne Welt.
29
Steinerne Maske der Olmeken
Maske aus Stein, gefunden im Südosten Mexikos
900–400 v. Chr.
Diese Maske wurde von Olmeken angefertigt, die rund ein Jahrtausend lang, von 1400 bis 400 v. Chr., im heutigen Mexiko herrschten. Man hat sie als die Mutterkultur –
cultura madre
– Mittelamerikas bezeichnet. Die Maske besteht aus geschliffenem Grünstein, und im Gegensatz zu einer Büste ist sie auf der Rückseite hohl. Die weiße, schlangenartige Zeichnung des dunklen Steins gibt ihm den Namen, Serpentin oder Serpentinit. Schaut man genauer hin, so erkennt man, dass das Gesicht durchbohrt und rituell mit «Narben» versehen wurde.
Die vorangegangenen Objekte in dieser Weltgeschichte haben uns über die königlichen Straßen des Perserreichs geführt, in mythische Schlachten in Athen und zu trinkfesten Menschen in Nordeuropa. Jedes Objekt hat deutlich gemacht, wie die Menschen, die es angefertigt haben, vor gut 2500 Jahren über sich selbst und die Welt um sie herum dachten. In Europa und Asien fällt dabei besonders auf, dass man sich selbst üblicherweise mit Blick auf andere definierte – zum Teil durch Nachahmung, meist aber durch Abgrenzung. In diesem Kapitel betrachte ich ein Objekt vom amerikanischen Kontinent, aus den Regenwäldern im Südosten Mexikos, und diese olmekische Gesichtsmaske zeigt mir eine Kultur, die nur auf sich schaut. Das ist ein Grund für die große Kontinuität mexikanischer Kultur, einer Kultur, die so alt ist wie die ägyptische.
In der Schule haben die meisten von uns nur wenig über die Kulturen Mittelamerikas erfahren; der Parthenon kam vermutlich im Unterricht vor, vielleicht auch Konfuzius, doch die großen Kulturen, die zur gleichen Zeit in Zentralamerika zu finden waren, gehörten in der Regel nicht zum Geschichtsstoff. Dabei waren die Olmeken ein höchst fortschrittliches Volk, das die ersten Städte in
Weitere Kostenlose Bücher