Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
wie ich glaube, über die Jahrhunderte großen Schaden angerichtet.
Drei Hunde beäugen eine kleine Ente auf dem Deckel des Kruges.
Die Bronze, die Formgebung und die kunstvolle Gestaltung der Basse-Yutz-Krüge zeigen, dass der griechische Mythos von den wilden Barbaren im Norden Europas blanker Unsinn war, und verraten uns eine Menge darüber, wie weit ihr Horizont reichte. Diese Menschen lebten in kleinen Gemeinschaften, doch sie beherrschten meisterhaft komplizierte Techniken der Metallherstellung, und die Materialien, aus denen die Krüge bestehen, machen deutlich, dass sie über jede Menge internationaler Kontakte verfügten: Die Ausgangsmaterialien für diese Bronze sind Kupfer aus den Alpen im Süden und Zinn, das vermutlich aus Cornwall im fernen Westen stammte. Die Verzierungen unten an den Krügen kennen wir von der Bretagne bis zum Balkan, während sich von Palmwedeln inspirierte Formen in der Kunst des alten Ägypten finden. Allein schon die Form des Kruges stammt von anderswo her, nämlich aus Norditalien. Ein Gelage mit diesen Krügen dürfte alle Besucher dieser neuen Herrscher davon überzeugt haben, dassdie Menschen, denen sie hier einen Besuch abstatteten, international, kosmopolitisch, reich und höchst fortschrittlich waren.
Auf jedem Krug finden sich mindestens 120 einzelne Korallenstücke, vermutlich aus dem Mittelmeerraum. Sie sind heute verblasst, aber ursprünglich dürften sie hellrot gewesen sein und damit einen auffallenden Kontrast zu der schimmernden Bronze gebildet haben. Man stelle sich vor, die Krüge stehen im Licht eines offenen Feuers, die Flammen spiegeln sich in der Bronze und verstärken das Rot der Korallen, während ihr Inhalt – Wein, Bier oder Met – wichtigen Gästen feierlich kredenzt wird.
Die Tiere auf den Krügen verraten uns ebenfalls eine Menge über die Menschen, die diese Gefäße hergestellt haben. Der geschwungene Henkel stellt einen schmalen, länglichen Hund dar, der sich nach vorne streckt, die Zähne gefletscht und im Maul eine Kette, die ihn mit dem Stopfen verbindet. Hunde dürften ein wichtiger Teil des Jagdlebens gewesen sein, und zwei weitere, kleinere Hunde liegen auf den beiden Seiten des Deckels. Alle drei Hunde haben ihre Aufmerksamkeit auf eine kleine Bronzeente gerichtet, die ganz am Ende des Ausgusses sitzt. Ein wunderbares Detail, rührend und witzig zugleich. Wenn jemand aus dem Krug einschenkte, sah es so aus, als würde die Ente auf einem Strom aus Wein, Met oder Bier schwimmen.
Jeder, dessen Becher aus einem dieser Krüge gefüllt wurde, wusste nur zu gut, dass es sich um lokale Luxusgüter handelte. In Italien entworfene Gegenstände sahen völlig anders aus. Die ausgefallene Form, die einzigartige Kombination bei der Verzierung, die Tierdarstellungen – das alles kündete laut und deutlich davon, dass diese Krüge nördlich der Alpen angefertigt worden waren. Sie standen beispielhaft für eine neue Welle der Kreativität bei Handwerkern und Gestaltern, für das nicht häufig anzutreffende Vertrauen darauf, dass sich Elemente aus ganz unterschiedlichen fremden und lokalen Quellen zu einer neuen Bildsprache verbinden ließen. Es sollte eine der bedeutendsten Sprachen der europäischen Kunst werden.
Wer also waren diese Trinker, die so wundervolle Dinge herstellen konnten? Wir wissen nicht, wie sie sich selbst nannten, weil sie nichts schriftlich festgehalten haben. Der einzige Name, den wir haben, ist der, den ihnen die verständnislosen Fremden, die Griechen, gaben. Sie nannten sie «keltoi» – der ersteschriftliche Hinweis auf die Menschen, die wir als Kelten kennen. Und das ist einer der Gründe, warum wir den neuen Kunststil, in dem diese Krüge gefertigt sind, als keltische Kunst bezeichnen – obwohl äußerst zweifelhaft ist, dass die Menschen, die diese Kunst herstellten oder benutzten, sich selbst als Kelten oder ihre Sprache als Keltisch bezeichnet haben. Sir Barry Cunliffe, ehemals Professor für Europäische Archäologie an der Universität Oxford, erklärt dazu:
«Das Verhältnis zwischen keltischer Kunst und den Menschen, die wir als Kelten bezeichnen, ist ausgesprochen komplex. In den meisten Gegenden, in denen keltische Kunst entwickelt und benutzt wurde, sprachen die Menschen Keltisch. Das heißt aber nicht, dass sie sich auch als Kelten betrachteten oder dass wir ihnen diese Form ethnischer Identität zuschreiben können, aber sie sprachen wahrscheinlich Keltisch, konnten sich also gegenseitig verständigen. In
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