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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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die Stadtzentren der Olmeken, sondern auch später für ganz Mittelamerika – man denke etwa an die Maya oder an die Azteken. Sie alle variierten das olmekische Modell des Tempels, der über einem offenen Platz thront und von kleineren Tempeln und Palästen flankiert wird.
    Um 400 v. Chr. wurde La Venta zusammen mit anderen Zentren der Olmeken verlassen. Dieses Muster findet sich mit irritierender Häufigkeit in Mittelamerika – große, bevölkerungsreiche Zentren werden urplötzlich, auf mysteriöse Weise aufgegeben. Im Fall der Olmeken könnte die Übervölkerung dieses fragilen tropischen Flusstals die Ursache gewesen sein oder eine Verschiebung der tektonischen Erdplatten, wodurch die Flüsse ihren Lauf änderten, der Ausbruch eines der dortigen Vulkane oder ein temporärer Klimawandel, der durch Veränderungen der Meeresströmung – das sogenannte El-Niño-Phänomen – verursacht wurde.
    Doch Elemente der Olmeken-Kultur lebten weiter in Zentralmexiko. Die antike Stadt Teotihuacan, die mehrere Jahrhunderte nach dem mysteriösen Zusammenbruch des olmekischen Kernlands gegründet wurde, weist eine große, rund 75 Meter hohe Pyramide auf. Von der Spitze dieser Pyramide aus kann man die Ruinen von Teotihuacan sehen – die monumentalen Prachtstraßen, niedrigeren Pyramiden und öffentlichen Gebäude einer Stadt, die damals in etwa die Größe des antiken Roms hatte. Diese Stadt verdankt ihre Gestalt in vielfacher Hinsicht den Modellen, welche die Olmeken entworfen hatten. Die Kultur der Olmeken ist wirklich so etwas wie die
cultura madre
ganz Mittelamerikas: Sie wirft einen sehr langen Schatten und stellte Modelle und Muster bereit, an denen sich andere Kulturen in den folgenden Jahrhunderten orientierten.



30
Chinesische Bronzeglocke
    Bronzeglocke, gefunden in der Provinz Shanxi, China
500–400 v. Chr.
    Die Auswahl der Musik, die anlässlich der feierlichen Übergabe der britischen Kronkolonie Hongkong an die Volksrepublik China 1997 gespielt wurde, war – auf beiden Seiten – absolut bezeichnend. Die Briten spielten den Großen Zapfenstreich auf einer Trompete; und die Chinesen führten ein extra für diesen Anlass komponiertes Musikstück auf, das den Titel «Himmel, Erde, Menschheit» trug und zum Teil auf einer Reihe antiker Glocken gespielt wurde. Auf europäischer Seite also ein Soloinstrument, das mit Krieg und Konflikt in Verbindung steht; und auf chinesischer Seite eine Gruppe von Instrumenten, die sich zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen. Strapaziert man seine Vorstellungskraft ein wenig, kann man in dieser Instrumentenauswahl zwei völlig verschiedene grundsätzliche Vorstellungen davon sehen, wie Gesellschaft funktioniert. Glocken haben in China eine mehrere Jahrtausende alte Geschichte, und in ihrem Klang klingt für die Chinesen vieles mit – vielleicht wollte die chinesische Staatsführung Hongkong damit an die kulturellen und politischen Traditionen erinnern, denen es sich von nun an wieder anschließen würde. Unsere Glocke hier ist ein Zeitgenosse derjenigen, die auf der Feier gespielt wurden, also rund 2500 Jahre alt, und mit ihrer Hilfe will ich die Vorstellungen des Konfuzius zu der Frage erkunden, wie eine Gesellschaft harmonisch funktionieren kann.
    Als diese Glocke zum ersten Mal zum Klingen gebracht wurde, im 5. Jahrhundert v. Chr., war China militärisch und politisch in Auflösung begriffen, es war im Grunde nur noch eine Ansammlung konkurrierender Lehen, die um die Vorherrschaft kämpften. Vielerorts herrschte gesellschaftliche Instabilität, aber es gab auch lebhafte intellektuelle Diskussionen darüber, wie eine ideale Gesellschaftaussehen sollte, und der berühmteste und einflussreichste Teil nehmer an diesen Debatten war Konfuzius. Angesichts der unsicheren Zeiten überrascht es nicht wirklich, dass er besonderen Wert auf Frieden und Harmonie legte. Einer seiner berühmtesten Aussprüche lautet angeblich: «Musik erzeugt eine Art von Freude, ohne die der Mensch nicht sein kann.» Für Konfuzius war die Musik Sinnbild einer harmonischen Gesellschaft, und Musik aufzuführen konnte in seinen Augen tatsächlich zu einer besseren Gesellschaft beitragen. Diese Weltsicht ist im heutigen China noch immer weit verbreitet, und sie verbindet sich mit der Geschichte unserer Glocke.
    Da es sich um ein Museumsstück handelt, und noch dazu um ein so altes, spielen wir unsere Glocke nicht besonders oft. Sie hat in etwa die Größe eines Bierfasses und ist nicht rund, sondern

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