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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Himmelsrichtungen des Kompasses und lassen ihn vermuten, dass es sich hier um das Abbild eines Königs handelt:
    «Wir haben berühmte Kolossalköpfe, wir haben Throne, Porträts von Königen und sehr oft das Konzept der Zentralität, das den König im Zentrum der Welt ansiedelt. Und auf dieser fein gearbeiteten Serpentin-Maske erkennen wir vier Elemente auf den Wangen, bei denen es sich vermutlich um die vier Himmelsrichtungen handelt. Für die Olmeken waren die Weltrichtungen und der Weltmittelpunkt von großer Bedeutung, und der König bildete dabei die Zentralachse in der Mitte der Welt.»
    Die Überreste von La Venta, einem der Zentren der Olmeken-Kultur.
    Die Olmeken verehrten nicht nur eine Vielzahl von Göttern, sondern auch ihre Ahnen – es ist also gut möglich, dass diese Maske mit ihren besonderen Merkmalen und Markierungen einen historischen König oder einen legendären Vorfahren darstellt. Karl Taube hat herausgefunden, dass wir es bei vielen Skulpturen offenbar mit dem Gesicht ein und derselben Person zu tun haben, auf dem sich Einritzungen finden, die Tätowierungen darstellen; da sich dieses Muster des öfteren findet, vermutet Taube, dass es tatsächlich eine Person mit diesen Markierungen im Gesicht gegeben hat. Spezialisten für die Olmeken-Kultur bezeichnen diese Person als den «Lord of the double scroll».
    Doch wer auch immer der Mann der Serpentin-Maske war, er muss ziemlich aufgefallen sein, wenn er in der Öffentlichkeit auftrat. Die Ohren sind an mehreren Stellen durchstochen, vermutlich für goldene Ohrringe. Und an den Mundwinkeln findet sich etwas, das aussieht wie tiefe Grübchen und wohl kreisförmige Löcher darstellt. Wir sind ja heute durchaus einiges an Gesichtspiercingsund Steckern gewohnt, aber diese hier sind denn doch eine Nummer größer; dieser Mann muss Plugs getragen haben, also runde Objekte für geweitete Piercings. In der Geschichte Mittelamerikas finden sich überall solche Piercings und Plugs, und Veränderungen wie diese – im Namen olmekischer Schönheitsideale – dürften das Gesicht ziemlich verändert haben. Nur anhand von Masken wie diesen können wir uns eine gewisse Vorstellung davon machen, wie die Olmeken tatsächlich ausgesehen haben, denn die Skelette haben sich im sauren Boden des Regenwalds vollständig zersetzt. Doch das Gefühl persönlicher Verschönerung konnte bei den Olmeken weit über Kosmetik und Schmuck hinausgehen und in die Bereiche von Mythos und Religion hineinreichen. Noch einmal Karl Taube:
    «Sie haben vermutlich ihre Köpfe verändert – man spricht in diesem Zusammenhang oft von Schädeldeformation, aber das ist ein zu negativ besetztes Wort. Für sie war es ein Zeichen von Schönheit. Bei Neugeborenen wurde beispielsweise der Kopf bandagiert und damit länglicher gemacht – manche sprechen von einem Avocado-Kopf. Tatsächlich aber wollten sie mit ihrem Kopf eine Kornähre symbolisieren. Denn die Olmeken waren das Volk des Maises.»
    Leider haben sich nur ganz wenige olmekische Inschriften – oder Glyphen – erhalten, und die Entzifferung ihrer Schrift steht noch ganz am Anfang. Wir verfügen einfach nicht über genügend umfangreiche schriftliche Zeugnisse, um sicher sein zu können, was die Symbole bedeuten, insofern können wir über ihre Sicht der Götter und des Naturkreislaufs nur spekulieren. Dafür gibt es jede Menge Objekte wie Töpferwaren und Skulpturen, die Symbole, Markierungen und Glyphen tragen, und sie belegen, dass die Schrift im Kernland der Olmeken ursprünglich weit verbreitet war. Eines Tages werden wir vielleicht mehr wissen.
    Doch auch wenn wir ihre Schrift bislang nicht lesen können, können wir aufgrund der Gebäude und Städte, die jüngst entdeckt worden sind, eine Menge über die Olmeken erfahren. Große Städte wie La Venta in der Nähe des Golfs von Mexiko verfügten über eindrucksvolle Stufenpyramiden mit Tempelmonumenten für die Verehrung der Götter und die Bestattung von Königen. Diese dürften das Stadtzentrum gebildet haben. Oben auf der Pyramide stand oft noch ein Tempel, ähnlich wie bei den Griechen, deren etwa zur gleichen Zeit erbauter Parthenon über Athen thront.
    Doch während der Parthenon auf dem natürlichen Felsen der Akropolis stand,errichteten die Olmeken künstliche Berge – Plattformen ist ein viel zu schwaches Wort –, auf die sie hoch über der Stadt ihre Tempel setzten. Die Anlage der Stadt (und ihre Einfügung in eine geordnete Landschaft) war typisch nicht nur für

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