Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
erst im Mittelalter gegossen, über 1500 Jahre später. Doch Glocken konnten in China eine Rolle spielen, die weit über das Musikalische hinausging. Um perfekte Töne zu erzeugen, mussten sie absolut standardisierte Größen aufweisen, und die Einheitlichkeit dieser Formen bedeutete, dass man die Glocken auch verwenden konnte, um Standardvolumen zu messen. Und da auch die Bronzemenge je Glocke streng kontrolliert wurde, konnten sie überdies als Standardgewichte fungieren. Ein Glockenspiel konnte im alten China also durchaus als eine Art lokales Amt für Maße und Gewichte dienen und dem Handel ebenso wie der Gesellschaft Harmonie verschaffen.
Interessanterweise spielten die Glocken auch eine wichtige Rolle bei den Konventionen im Fall kriegerischer Auseinandersetzungen. Bei den Chinesen galt kein Angriff als fair und rechtens, wenn er nicht von Glocken- oder Trommelklang begleitet war; war das der Fall, durfte man ohne jede Einschränkung ehrenhaft kämpfen. Häufiger jedoch kamen die Glocken bei Ritualen und Unterhaltungen am Hof zum Einsatz. Die komplexe Musik der Glocken war bei wichtigen Anlässen, Banketten und Opferzeremonien zu hören und bestimmte den Rhythmus des höfischen Lebens.
Die Glocken und die antiken Methoden, sie zu spielen, fanden weit über die Grenzen Chinas hinaus Verbreitung, und die Form, die dieser alten Musik am nächsten kommt und bis heute überlebt hat, findet sich bezeichnenderweise nicht in China, sondern in Korea, wo die höfische Musik, die ihren Ursprung im 12. Jahrhundert hat, noch heute gespielt wird.
In Europa hören wir selten Musik, die älter als 500 oder 600 Jahre ist, doch die Musik der Glocken aus dem alten China klingt seit über 2500 Jahren harmonisch nach und symbolisiert nicht nur den Klang einer Epoche, sondern auch die grundlegenden Ideale einer antiken Gesellschaft und ihrer neuzeitlichen Nachfolger. Es ist ein konfuzianisches Prinzip, das China heute wieder besonders attraktiv findet – obwohl das nicht immer der Fall war. Noch einmal Isabel Hilton:
«Der Konfuzianismus bildete tatsächlich über zwei Jahrtausende so etwas wie die Seele des chinesischen Staates, doch zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde er von den Modernisierern, von den Revolutionären, von den Menschen, die den Konfuzianismus für den Niedergang Chinas in den vorangegangenen 200 Jahren verantwortlich machten, heftig kritisiert und fiel in Ungnade. Doch ganz verschwand er nie. Kurioserweise sprechen die chinesischen Führer jetzt wieder von der harmonischen Gesellschaft. Was die Staatsführung heute will, ist eine zufriedenere Gesellschaft, in der die Menschen mit ihrer Stellung zufriedener sind und es also keinen Klassenkampf mehr gibt; und in der die politische Führung in gut konfuzianistischer Manier als Verkörperung der Tugendhaftigkeit gilt. Aufgrund ihrer Tugendhaftigkeit akzeptiert das Volk ihr Recht auf Herrschaft. Man hat also diese uralte Vorstellung von Harmonie genommen und benutzt sie in ihrer modernen Form nun dazu, ein statisches politisches System zu legitimieren, ein System, in dem das Recht auf Herrschaft nicht in Frage gestellt wird.»
Und die Glocken entfalten noch immer kräftig ihren Klang. Die antiken Glocken, die man für die Übergabezeremonie in Hongkong 1997 verwendet hatte, kamen anlässlich der Olympischen Spiele in Peking 2008 erneut zum Einsatz. Und Konfuzius ist heute, so scheint es, eine Art Modephilosoph. Es gibt einen aufwendig produzierten Film über sein Leben, einen Bestseller, eine Fernsehserie und eine Zeichentrickserie über seine Lehre in einhundert Folgen. Das Zeitalter des Konfuzius ist wieder da.
Teil VII
Reichsgründer
300 v. Chr. – 10 n. Chr.
Mit der Eroberung
des Perserreichs durch Alexander
den Großen 334 v. Chr. begann ein Zeitalter
größenwahnsinniger Herrscher und riesiger Imperien.
Zwar hatte es auch schon vorher Großreiche gegeben, doch nun
entstanden erstmals in unterschiedlichen Weltgegenden regionale Supermächte.
Im Nahen und Mittleren Osten sowie im Mittelmeerraum wurde
Alexander zu einem Modell, das andere Herrscher nachahmten oder ablehnten:
Augustus, der erste römische Kaiser, imitierte Alexander, indem er sein eigenes
Bildnis benutzte, um seinen Untertanen die imperiale, kaiserliche Macht vor
Augen zu führen. Im Gegensatz dazu richteten die griechischen Herrscher Ägyptens
in Zeiten politischer Schwäche den Blick zurück in die Vergangenheit Ägyptens, und
in Indien lehnte Kaiser Ashoka jegliche repressive
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