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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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Jahre zur Amts- und Verwaltungssprache in Ägypten. Die vielleicht größte Leistung der Ptolemäer bestand darin, ihre Hauptstadt Alexandria zur strahlendsten Metropole der antiken Welt zu machen – jahrhundertelang musste es nur Rom den Vortritt lassen und war intellektuell vermutlich sogar lebendiger als die Ewige Stadt. Alexandria war ein Magnet für Waren, Menschen und Ideen aus aller Welt. Die riesige Bibliothek von Alexandria wurde von Ptolemäern erbaut, in ihr wollten sie das gesamte Weltwissen versammeln. Ptolemäus I. und Ptolemäus II. ließen zudem den berühmten Leuchtturm von Pharos errichten, der zu den sieben Weltwundern der antiken Welt gehörte. Eine so lebendige, vielfältige Stadt brauchte eine starke Führung. Als der Vater von Ptolemäus V. plötzlich starb und sein Sohn als kleiner Junge König wurde, schien es, als könnten die Dynastie und ihre Herrschaft über Ägypten zerbrechen. Die Mutter des Jungen wurde ermordet, der Palast wurde von Soldaten gestürmt und überall im Land kam es zu Aufständen, welche die Krönung des jungen Ptolemäus um Jahre verzögerten.
    In diesen unruhigen Zeiten «veröffentlichte» Ptolemäus V. den Stein von Rosette und andere, ähnliche Dekrete. Der Stein ist nicht einzigartig; es gibt rund siebzehn andere, ähnliche Inschriften wie diese, die erhalten geblieben sind und in drei Sprachen von der Größe der Ptolemäer künden. Sie wurden in den großen Tempelanlagen überall in Ägypten aufgestellt. Der Stein von Rosette wurde 196 v. Chr. angefertigt, anlässlich des ersten Jahrestags der Krönung von Ptolemäus V., der damals ein Jugendlicher war. Es handelt sich um ein von ägyptischen Priestern verfasstes Dekret, das offenbar die Krönung anzeigen und den neuen Status des Ptolemäus als lebendiger Gott verkünden sollte – mit dem Posten des Pharaos war die Göttlichkeit verbunden. Die Priester hatten ihm in der heiligen Stadt Memphis das volle ägyptische Krönungsritual zuteil werden lassen,was seine Stellung als rechtmäßiger Herrscher des Landes deutlich stärkte. Das Ganze hatte jedoch auch noch einen Nebeneffekt. Ptolemäus war zwar zu einem Gott geworden, doch auf dem Weg dorthin hatte er mit der extrem mächtigen ägyptischen Priesterschaft über ganz und gar irdische Dinge verhandeln müssen. Dorothy Thompson von der Cambridge Universität erklärt, worum es dabei ging:
    «Der Anlass, der zu diesem Dekret führte, war in gewisser Hinsicht eine Veränderung. Es hatte auch früher schon solche Dekrete gegeben, und sie haben alle in etwa die gleiche Form, doch in diesem besonderen Fall wurde ein sehr junger König von vielen Seiten attackiert. Eine der Klauseln des Dekrets von Memphis, des Steins von Rosette, besagt, dass die Priester nicht mehr jedes Jahr nach Alexandria, in die neue ägyptische Hauptstadt kommen sollten; stattdessen sollten sie sich in Memphis versammeln, dem alten Zentrum Ägyptens. Das war neu, und man kann das als Zugeständnis von Seiten des königlichen Hofes betrachten».
    Die Priester waren von entscheidender Bedeutung, um die Herzen und Köpfe der ägyptischen Massen für Ptolemäus zu gewinnen, und das auf dem Stein von Rosette festgehaltene Versprechen war die Belohnung, die sie dafür erhielten. Doch das Dekret erlaubte ihnen nicht nur, in Memphis zu bleiben, es gewährte ihnen auch einige sehr attraktive Steuererleichterungen. Da kein Jugendlicher sich solche Dinge ausdenkt, muss jemand aus seinem Umfeld im Sinne des Jungen und, wichtiger noch, im Sinne der Dynastie strategisch gedacht haben.
    Der Stein von Rosette ist somit zugleich Ausdruck von Macht und von Kompromiss, auch wenn der gesamte Text in etwa so aufregend zu lesen ist wie eine neue, in mehreren Sprachen abgefasste EU-Regelung. Er ist bürokratisch, priesterlich gestelzt und trocken.
    Uns interessiert an dieser Stelle aber weniger, was der Stein sagt, sondern die Tatsache, dass er es drei Mal und in drei verschiedenen Sprachen sagt: in Altgriechisch, der Sprache der griechischen Herrscher und der staatlichen Verwaltung, und dann in zwei Formen des Altägyptischen, nämlich der Alltagssprache der Bevölkerung (dem sogenannten Demotischen) und in der Hieroglyphensprache der Priester, welche die Europäer jahrhundertelang vergeblich zu entziffern suchten. Doch mit dem Stein von Rosette änderte sich das grundlegend; er öffnete der Wissenschaft auf sagenhafte Weise die Tür zur gesamten Welt des alten Ägypten.
    Zu der Zeit, da der Stein von Rosette

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