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Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
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den
Klang
der ägyptischen Sprache fest. Betrachtet man beispielsweise die letzte Zeile des Hieroglyphentexts auf dem Stein, so findet man drei Lautzeichen für das Wort «Steinplatte», auf Ägyptisch
ahaj
, und dann ein viertes Zeichen, das eine bildliche Darstellung davon gibt, wie der Stein ursprünglich ausgesehen haben dürfte: eine rechteckige, oben abgerundete Platte. Laut und Bild arbeiten in der Hieroglyphenschrift also zusammen.
    Im Jahr 1822 hatte Champollion schließlich alles entschlüsselt. Damit konnte die Welt von nun an den berühmten Objekten der altägyptischen Kultur – den Statuen und Monumenten, den Mumien und Papyri – sozusagen einen Text unterlegen.
    Zu der Zeit, als der Stein von Rosette entstand, war Ägypten bereits mehr als hundert Jahre unter griechischer Herrschaft, und die Dynastie der Ptolemäer sollte noch weitere 150 Jahre an der Macht bleiben. Ihr unrühmliches Ende fand sie mit der Herrschaft von Kleopatra VII. – der Kleopatra, die sowohl Julius Caesar als auch Marcus Antonius bezauberte und verführte. Doch mit dem Tod von Antonius und Kleopatra wurde Ägypten von Augustus erobert, und das Ägypten der Ptolemäer wurde Teil des Imperium Romanum.

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Lackierte chinesische Tasse aus der Han-Zeit
    Lackierte Tasse, gefunden in der Nähe von Pjöngjang, Nordkorea
4 n. Chr.
    Wie jeder Anthropologe weiß, war es in der Geschichte schon immer so: Die einfachste Art, Menschen an sich zu binden, besteht darin, ihnen ein besonderes Geschenk zu machen – ein Präsent, das nur eine ganz bestimmte Person über reichen kann und das zu bekommen nur die Beschenkten verdient haben; ein Präsent wie dieses Objekt. Ich habe gezeigt, wie die Führer riesiger Königreiche und Imperien ihre Vormachtstellung aufgebaut und gesichert haben: indem sie sich das Bild Alex anders des Großen zunutze machten, indem sie die Ideale Buddhas in Indien verkündeten oder indem sie sich, wie in Ägypten, das Wohlwollen der Priesterschaft erkauften. Im China der Han-Dynastie, also vor 2000 Jahren, verschaffte man sich vor allem durch kaiserliche Geschenke Einfluss, ein Vorgehen, das sich irgendwo in der Grauzone zwischen Diplomatie und Bestechung bewegt.
    Unsere Tasse stammt aus einer turbulenten Phase der Han-Zeit. Im Zentrum sah sich der Kaiser ernsthaften Bedrohungen ausgesetzt, während er an den Rändern des Reiches Mühe hatte, die Kontrolle zu behalten. Die Han, die seit dem Jahr 202 v. Chr. regierten, dehnten den chinesischen Einfluss im Süden bis nach Vietnam, im Westen bis in die Steppen Zentralasiens und im Norden bis nach Korea aus, und in all diesen Gebieten errichteten sie Militärkolonien. Mit der zunehmenden Geschäfts- und Siedlungstätigkeit in diesen Außenposten wuchs auch die Macht der dortigen Gouverneure, und so bestand stets die Gefahr, dass diese Gegenden zu unabhängigen Lehen wurden. Was die Chinesen heute «Zersplitterung» nennen, bereitete ihnen schon damals Sorge. Also galt es die Loyalität der Gouverneure gegenüber dem Kaiser zu sichern. Und eine der Möglichkeiten, wie der Herrscher sie an seiner Seite halten konnte, waren Geschenke,die großes imperiales Prestige besaßen. Im Britischen Museum haben wir diese erlesene lackierte Weintasse, die der Kaiser vermutlich um das Jahr 4 einem seiner Militärkommandeure in Nordkorea hat zukommen lassen.

    Sie ist ganz leicht und ähnelt eher einer kleinen Servierschüssel als einer Weinschale – in die in etwa so viel Wein passt wie in ein sehr großes Weinglas. Die Schale ist flach, oval und etwa 17 Zentimeter lang, hat also in etwa Größe und Form einer großen Mango. An den beiden Längsseiten finden sich vergoldete Henkel, die der Tasse ihren Namen geben: Ohrentasse. Im Kern ist sie aus Holz, wie an einigen der schadhaften Stellen zu erkennen ist; sonst aber ist das Holz mit mehreren Schichten rotbraunen Lacks überzogen. Die Innenseite ist schmucklos, doch außen ist die Tasse mit Intarsien aus Gold und Bronze verziert – einander zugewandten Vogelpaaren, bei denen die Vögel jeweils vor dem Hintergrund geometrischer Formen und dekorativer Spiralen übergroße Klauen zur Schau stellen. Das Ganze wirkt wie ein kostbares und auf das Feinste ausgearbeitetes Objekt – elegant, stilvoll, edel. Alles daran zeugt von sicherem Geschmack und kontrollierter Opulenz. Roel Sterckx, Professor für chinesische Geschichte an der Cambridge University, weiß genau, wie viel Aufwand die Herstellung einer dieser Trinkschalen

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