Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten
‹Bruttosozialglück› ein – das im Gegensatz zum ‹Bruttosozialprodukt› steht. Auch ihmwaren, ganz im Sinne Ashokas, Glück und Zufriedenheit der Menschen wichtiger als die Eroberung anderer Länder. Der fünfte König ist in hohem Maße den buddhistischen Vorgaben für einen Monarchen gefolgt.»
Ashokas politische und moralische Prinzipien, wie er sie in seinen kaiserlichen Inschriften zum Ausdruck brachte, begründeten eine Tradition religiöser Toleranz, gewaltloser politischer Auseinandersetzung und der Verpflichtung auf die Idee des Glücks, die seither das politische Denken in Indien geprägt hat. Aber – und das ist ein großes Aber – sein wohlwollendes Imperium hat ihn selbst kaum überlebt. Angesichts dessen stellt sich die unangenehme Frage, ob solche hohen Ideale die Realitäten politischer Macht überleben können. Gleichwohl hat dieser Herrscher tatsächlich das Denken seiner Untertanen und ihrer Nachfahren verändert. Gandhi war ebenso ein Bewunderer Ashokas wie Nehru, und Ashokas Botschaft hat ihren Weg sogar auf die modernen indischen Banknoten gefunden – dort ist Ghandi vor den vier Löwen der Ashoka-Säule zu sehen. Die Architekten der indischen Unabhängigkeit dachten oft an ihn. Doch sein Einfluss reicht noch viel weiter; die gesamte Region betrachtet ihn als Inspiration und Vorbild, wie Amartya Sen meint:
«Zur Zeit der Unabhängigkeitsbewegung sympathisierten die Inder vor allem mit zwei Aspekten seiner Lehre: dem Säkularismus und der Demokratie. Doch Ashoka ist auch in China, in Südkorea, in Thailand und in Sri Lanka eine wichtige Figur; er ist eine panasiatische Gestalt.»
Mein nächstes Objekt hat mit einer weiteren Art von Inschrift und einem weiteren Herrscher zu tun, die beide in enger Verbindung mit einem Glaubenssystem stehen. Doch in ihrem Fall ist die Religion längst tot und der Herrscher heute ohne Nachwirkung – wobei er eigentlich nie wirklich eine hatte. Die Inschrift ist eines der berühmtesten Objekte im Britischen Museum – und vielleicht sogar auf der ganzen Welt.
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Der Stein von Rosette
Gefunden bei el-Rashid, Ägypten
196 v. Chr.
Wenn ich durch die Ägyptische Abteilung im Britischen Museum gehe, sehe ich Tag für Tag Fremdenführer, die in jeder nur vorstellbaren Sprache zu Besuchergruppen sprechen, welche sich alle um dieses Objekt scharen. Es steht auf dem Besichtigungsplan jedes Besuchers ganz oben und gehört zusammen mit den Mumien zu den populärsten Objekten des Museums. Doch warum? Im Grunde bietet es einen recht langweiligen Anblick – ein grauer Stein, etwa so groß wie diese voluminösen Koffer, die Menschen auf Flughäfen hinter sich herziehen. Die rauen Kanten zeigen, dass er aus einem größeren Stein herausgebrochen wurde, und die Bruchstellen durchschneiden den Text, der die eine Seite bedeckt. Liest man den Text, ist auch der eher langweilig – es handelt sich überwiegend um Bürokratenjargon zum Thema Steuererleichterungen. Doch wie so oft im Britischen Museum täuscht der erste Eindruck. Dieses eintönige Bruchstück aus Granit hat in drei faszinierenden und ganz unterschiedlichen Geschichten eine Hauptrolle gespielt: in der Geschichte der griechischen Könige, die in Alexandria herrschten, nachdem Alexander Ägypten erobert hatte; in der Geschichte des kolonialen Wettlaufs im Nahen Osten zwischen Franzosen und Briten, nachdem Napoleon in Ägypten einmarschiert war; und in dem außergewöhnlichen, aber immerhin friedlichen Gelehrtenwettstreit, der zur berühmtesten Entzifferung in der Geschichte führte – zum Entschlüsseln der Hieroglyphenschrift.
Der Stein von Rosette ist ein besonders faszinierender und ganz spezieller Fall von Machtprojektion. Er ist verbunden mit einem Herrscher, der nicht stark, sondern schwach war, einem König, der um seine Macht feilschen und sie schützen musste, indem er sich die unüberwindliche Stärke der Götter, oder genauer:der Priester auslieh. Gemeint ist Ptolemäus V., der 205 v. Chr. im Alter von gerade einmal sechs Jahren als Waisenkind den ägyptischen Königsthron bestieg.
Ptolemäus V. wurde in eine berühmte Dynastie hineingeboren. Der erste Ptolemäus war einer der Feldherren Alexanders des Großen gewesen und hatte gut hundert Jahre zuvor nach dem Tod Alexanders die Herrschaft über Ägypten übernommen. Die Ptolemäer machten sich nicht die Mühe, Ägyptisch zu lernen, sondern sorgten dafür, dass all ihre Beamten Griechisch sprachen. Griechisch wurde somit für rund 1000
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