Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten

Titel: Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil MacGregor
Vom Netzwerk:
dünnes Band mit 67 chinesischen Schriftzeichen darauf. In Europa würde man erwarten, dass sich darauf vielleicht ein Motto oder eine Widmung findet; hier jedoch sind sechs Handwerker aufgeführt, die für die verschiedenen Prozesse bei der Produktion dieser Tasse verantwortlich waren: die Herstellung des Holzkerns, die Grundlackierung, die Schlusslackierung, die Vergoldung der ohrförmigen Henkel, die Bemalung und die abschließende Politur. Und dann – so etwas konnte es mit Sicherheit nur in China geben – werden die sieben Produktüberprüfer genannt, die für die Qualitätsgarantie verantwortlich waren. Sechs Handwerker und sieben «Überwacher» – das ist wahre Bürokratie. Die Liste lautet übersetzt:
    «Der Holzkern von Li, die Lackierung von Li, Schlusslackierung von Dang, Vergoldung der Henkel von Gu, Bemalung von Ding, abschließende Politur von Feng, Produktüberprüfung von Ping, Aufsichtsführer Zong. Verantwortlich waren der Oberste Regierungsaufseher Zhang, Verwaltungschef Liang, sein Stellvertreter Feng, ihr untergebener Sachbearbeiter Long und Bürovorsteher Bao.»
    Diese Tasse ist ein eindrucksvolles Dokument für die Verbindung zwischen kunsthandwerklicher Produktion und staatlicher Verwaltung – Bürokratie, die für Schönheit bürgt. Dem modernen Europäer dürfte das kaum vertraut sein, doch die Journalistin und Chinaexpertin Isabel Hilton erkennt darin eine bis heute wirksame Tradition in der chinesischen Geschichte:
    «Zu Zeiten der Han-Dynastie spielte die Regierung eine wichtige Rolle für die Produktion, nicht zuletzt aufgrund der Militärausgaben, mit denen sie die Unternehmungen finanzierte, die gegen die aggressiven Völker im Norden und im Westen erforderlich waren. Die Regierung verstaatlichte einige wichtige Produktionszweige und regulierte andere Bereiche über ziemlich lange Zeit, sie wurden dann oft von Privatunternehmern oder früheren Unternehmern geführt, allerdings eben unter staatlicher Kontrolle. Es finden sich hier durchaus Parallelen zur Gegenwart, denn was wir in den letzten Jahrzehnten in China erlebt haben, ist die Entstehung eines hybriden Systems, die Entwicklung von einer vollständig staatlich kontrollierten Ökonomie hin zu einem stärker marktwirtschaftlich orientierten Modell, das aber noch immer starker staatlicher Lenkung unterworfen ist. Wenn man schaut, wo das Kapital investiert wird und welche Eigentümerstrukturen die chinesische Industrie aufweist, dann unterliegt das alles noch weitgehend staatlicher Kontrolle.»
    Wenn wir diese rund 2000 Jahre alte Lacktasse betrachten, finden wir uns also plötzlich auf seltsam vertrautem Terrain wieder – Privatunternehmen unter Kontrolle des chinesischen Staates, Massenproduktion auf dem neuesten Stand im Verbund mit High-Tech, geschickte Ausgestaltung der Beziehungen zwischen der chinesischen Hauptstadt und Nordkorea und der kunstfertige Einsatz diplomatischer Geschenke. Die Chinesen wissen noch immer, dass die besten Geschenke stets diejenigen sind, über die allein der Schenkende befindet. Zu Zeiten der Han-Dynastie waren das Seide und Lacktassen. Will China heute freundschaftliche Beziehungen aufbauen, macht es noch immer ein Geschenk, über das niemand sonst verfügt – man spricht dann gerne von Panda-Diplomatie.

35
Kopf des Augustus
    Bronzestatue, gefunden in Meroë (nahe Shendi), Sudan
27–25 v. Chr.
    Caesar Augustus, der erste römische Kaiser, gehört zu den berühmtesten Herrschergestalten der Weltgeschichte. Sein Bronzekopf steht hier im Britischen Museum in der Römischen Abteilung. Trotz Patina und Flecken strahlt er Charisma und urwüchsige Kraft aus. Man kann ihn schlicht nicht übersehen. Die Augen blicken pathetisch und stechend; ganz gleich wo man steht, schauen sie einen nicht an. Augustus blickt vielmehr durch den Betrachter hindurch, an ihm vorbei, auf etwas viel Gewichtigeres: seine Zukunft.
    Das lockige Haar ist kurz und wirkt jungenhaft, leicht strubbelig, doch das ist gewollt – es dauerte bestimmt ziemlich lange, das so hinzubekommen. Wir haben es hier mit einem sorgfältig konstruierten Bildnis zu tun, es soll genau die richtige Mischung aus Jugendlichkeit und Autorität, Schönheit und Stärke, Willen und Macht ausstrahlen. Das Porträt hatte zu seiner Zeit einen hohen Wiedererkennungswert und hat sich als höchst dauerhaft erwiesen.
    Der Kopf ist ein klein wenig überlebensgroß und leicht zur Seite geneigt, als befinde der Porträtierte sich im Gespräch, so dass man für

Weitere Kostenlose Bücher